Außer einem Gedenkstein ist hier am Strand von Argelès nichts mehr von dem Lager zu sehen. Mitten im Sand hatte man an dieser Stelle 1939 ein Konzentrationslager für die Bürgerkriegsflüchtlinge errichtet, die zu Abertausenden von Spanien aus über die Grenze strömten. Immer weiter gen Norden waren Francos Truppen vorgerückt. Immer mehr Schlachten hatten die Republikaner verloren. Die gewählte Regierung hatte Madrid längst verlassen und war ins Exil geflohen. Schließlich überschritten die aufständischen Truppen der Nationalisten unter General Francisco Franco den Ebro und eroberten im Januar Barcelona.

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Ein wahrer Exodus setzte ein. La Retirada, nannte man nicht nur den militärischen Rückzug, sondern auch die endlose Schlange der Menschen, die versuchten sich ins Ausland zu retten. Nur das Nötigste hatten sie von Zuhause mitnehmen können. In ein paar Koffern, die Kinder an der Hand, trugen sie ihr ganzes bisheriges Leben bei sich. Viele der Flüchtenden waren nach den vielen Jahren des Bürgerkriegs völlig ausgehungert. In Barcelona gab es schon lange keine Hunde und Katzen mehr. Krank und beladen schleppten sich Zehntausende Spanier, die aufseiten der Republik gekämpft hatten, hoffnungsvoll vorwärts.

Unter Bombenhagel bahnten sie sich einen Weg zur Grenze. Doch in Frankreich schloss man angesichts dieser Menschenmenge die Schlagbäume. Erst als Francos Truppen näher und näher kamen, öffnete man schließlich die Grenzübergänge wieder. Zunächst durften Frauen und Kinder passieren. Die Männer mussten noch ein paar Tage länger ausharren. Diejenigen, die bis zum Letzten für die demokratisch gewählte Regierung gekämpft hatten, wurden nicht als Helden gefeiert. Sie wurden entwaffnet und gedemütigt. Verletzt, krank und oft nur noch mit Lumpen bekleidet, ließ man sie die Grenze überschreiten. Vielen nahm man auch noch die letzten verbliebenen Wertgegenstände ab.

In den eiskalten Januarwochen des Winters 1939 hatten sich die Flüchtlinge teilweise durch Schnee und Eis der Pyrenäen geschleppt. Wer die rauen Klippen der Côte Vermeille hinter sich gelassen hatte, erreichte in Argelès die ersten weiten Strände. Die Franzosen befanden, dass hier ausreichend Platz sei, um ein Lager zu errichten. Sie zogen Stacheldraht um ein Stück Strand und verfrachteten die Geflohenen dorthin.

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Es gab keine Hütten, keine Zelte, keine Decken, keine Waschgelegenheit oder Toiletten. In diesem Lager gab es einfach nichts. Die Menschen mussten im Sand schlafen und ihre Notdurft verrichten. Die Frauen versuchten vergeblich, sich vor den ungenierten Blicken der Aufpasser zu schützen. Die Bedingungen der Unterbringung, die hier in Argelès aber auch in anderen Lagern herrschten, waren schlicht und einfach entwürdigend.

Auf den 50-100 Hektar hausten an die 1500 Menschen dem kalten Wind der Tramontane ausgesetzt, im feuchtem Sand, am eisigen Meer. Bewacht wurde das Flüchtlingscamp von zwei Kompanien senegalesischer Truppen der französischen Armee. Frauen wurden als „saloppe“ oder „cochonne“ beschimpft, nicht selten kam es zu Vergewaltigungen. Es gab viele schwangere Frauen und kleine Kinder im Lager. Um sie vor der Kälte zu schützen, gruben viele Mütter ihre Babys im Sand ein, sodass nur der Kopf herausschaute.

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Auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln war eine Katastrophe. Es gab viel zu wenig zu essen. Bei der Austeilung wurde trockenes Brot direkt vom LKW aus in die Menge geworfen, so als würde man die Brotlaibe dem Vieh zum Fraß vorwerfen. Die halb verhungerten Menschen des Lagers kämpften um jedes Stückchen Nahrung, stopften sich Brotfetzen mit Sand in den Mund, um wenigstens etwas im Magen zu haben.

Selbst als später irgendwann Zelte aufgestellt wurden und man etwas Holz, Karton und anderes Material  verteilte, mit dem sich die Geflohenen notdürftige Baracken, simpelste Holzverschläge errichten durften, änderte sich an der katastrophalen Lage der Menschen nicht viel. Oft wurde alles Brennbare zum Entzünden eines wärmenden Feuers benutzt.

Internationale humanitäre Einrichtungen wie das Rote Kreuz versuchten zu helfen. In Zelten richteten sie eine Art Krankenstation ein. Doch außer Aspirin gab es keine Medikamente. Krankenschwestern verteilten täglich etwas Milch für die vielen Kinder. Doch die Sterblichkeitsrate war erschreckend hoch. Jeden Morgen ging das Rote Kreuz mit Tragen durch das Lager, um die Toten einzusammeln, die die Nacht nicht überstanden hatten.

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Nur wenige hatten das Glück, die Lager verlassen zu können, weil sie Arbeit und Wohnung gefunden hatte. Viele der Flüchtlinge, die politisch aktiv gewesen waren, wurden von den Franzosen an Franco ausgeliefert. Manche der Geflohenen, die in Spanien nicht um ihr Leben fürchteten, gaben angesichts der unmenschlichen Bedingungen im Lager von Argelès auf und kehrten sogar freiwillig zurück. Nichts konnte schlimmer sein als das hier. Doch die meisten Flüchtlinge steckten hier fest.

Als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg schließlich ganz Frankreich erobert hatten, brachten sie immer mehr Juden nach Argelès. Im Januar 1941 zählte man im Lager an die 15 000 Menschen, der Großteil noch immer Flüchtlinge aus Spanien, Internationale Brigadisten, aber auch 600 jüdische Gefangene. Im Frühjahr wurden über tausend Insassen von Argelès in das neu eröffnete Lager nach Rivesaltes verlegt. Unter der Führung der deutschen Nationalsozialisten brachte man in dem Überwachungslager am Strand nun Zwangsarbeiter statt Bürgerkriegsflüchtlinge unter.

Nur ein Monolith erinnert heute noch an die Stelle, an der sich zwischen 1939 und 1941 das provisorische Lager von Argelès befand. Längst sind ringsherum Häuser und Hotels errichtet worden. Im Sommer baden die Urlauber an diesem Strand wie an allen anderen Stränden der Welt auch, genießen die Sonne und das Meer.

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Mitten in der Fußgängerzone von Argelès-sur-Mer gibt dafür aber ein kleines Museum, das Mémorial du Camp d‘Argelès. Dort wird auf sehr einfühlsame und respektvolle Weise die Geschichte des Exodus erzählt. Mitten zwischen der Bäckerei, den Modegeschäften und der Eisdiele werden die Einwohner und die Besucher von Argelès hier an die Geschichte erinnert.

Infos zur Gedenkstätte Argelès

Mémorial du Camp d‘Argelès sur Mer
26 Avenue de la Libération
66700 Argelès-sur-Mer
Website www.memorial-argeles.eu

Ein kleines, sehr gut gemachtes Museum, das an die Geschichte des Exodus erinnert. Wie in Rivesaltes hat man hier keine Angst davor, sich zu erinnern, sondern versucht zu zeigen, wie wichtig es ist, aus der Geschichte zu lernen. Denn Flüchtlinge gibt es noch immer, in vielen Ländern auf der ganzen Welt. Die Frage ist, wie wir heute mit ihnen umgehen.

Öffnungszeiten
Juli, August und September: täglich von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr geöffnet.
Oktober bis Juni: Di – Sa, von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr geöffnet

Eintritt: 2 Euro

Video Tipp: der Dokumentarfilm TV3  Camp d’Argelers (1939-1942)

Lesetipp: Mein Frankreich La Retirada

Hier im Blog: Spanischer Bürgerkrieg und Museu de l’Exili  

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Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Blogtrips, zu dem ich von Tourisme Occitanie eingeladen wurde.