Über Kopfsteinpflaster gehe ich durch die alten Gassen zu einer roten Holztür. Dahinter befindet sich ein wunderschöner, mittelalterlicher Innenhof. Eine steinerne Treppe führt hinauf in den ersten Stock. Die hohen Fenster sind weit geöffnet. Es ist hell und sehr geräumig. Das Licht fällt von oben in das großzügige Treppenhaus. In der Fensterbank entdecke ich bereits erste Utensilien des Geigenbauers, der hier wohnt und arbeitet. Der Meister schaut aus seiner Werkstatt und winkt mir zu. Ich soll zu ihm kommen. Also steige ich die letzten Stufen der Treppe hoch und stehe staunend in einem alten, aber sehr gemütlich eingerichteten Atelier.

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Diese Werkstatt mit ihrem Duft nach Holz und Leim strahlt so eine Ruhe und eine vertraute Gemütlichkeit aus, dass ich ganz still werde. Einen Moment lang schaue ich dem Meister einfach nur zu, bevor er anfängt mir von seiner Arbeit zu erzählen.

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In Montpellier gibt es ein wahres Nest an Geigenbauern. Insgesamt vierzehn Luthiers sollen sich hier niedergelassen haben. Sie alle bauen die eleganten Musikinstrumente noch vollständig per Hand. Das hat natürlich seinen Preis. Eine Violine herzustellen, braucht viel Geduld und Erfahrung. Von der Auswahl des Holzes, über die speziell angerührten Kleber und Lacke zieht sich der Prozess über mehrere Monate hin. Immer wieder muss das Holz eine Zeit lang ruhen.

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Industriell kann man Streichinstrumente natürlich schneller und billiger herstellen. Aber das kommt für die luthiers in Montpellier nicht in Frage. Während ich mich mit Frédéric Chaudière unterhalte, stelle ich schnell fest, dass er sich nicht nur als Handwerker, sondern als Künstler und Designer versteht. Denn seine Instrumente sind nicht nur handgearbeitet, sondern auch ganz individuelle Einzelstücke. Jede Geige ist anders. Und als echter Meister traut er sich auch zu, seine eigenen Instrumente allein am Ton von denen anderer Geigenbauer unterschieden zu können.

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„Wie viele Geigen bauen Sie denn pro Jahr“, frage ich ihn, während er mit einem Werkzeug eine feine Rille in das Holz kratzt, aus dem einmal eine Violine werden soll. „Zwischen zehn bis fünfzehn maximal“ lautet die klare Antwort. Eine Geige braucht eben ihre Zeit und außerdem ist der Meister ja nebenbei auch noch Bildhauer und schreibt Bücher.

Erst relativ spät, so erzählt Monsieur Chaudière, mit etwa zwanzig Jahren, habe er sich entschlossen, Geigenbauer werden zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt spielte er in einer Band und hatte schon zwei oder drei Gitarren gebaut. Doch es war die Geige, die ihn als Instrument einfach faszinierte. Und so ging der junge Mann nach England und lernte dort das alte Handwerk. Als er nach Montpellier zurückkehrte, standen seine Chancen, von dem erlernten Beruf auch leben zu können, allerdings eher schlecht. Niemand kannte ihn, er hatte keine Kontakte in die Welt der Geigenbauer oder der Musiker. Ja, er spielte ja nicht einmal selbst Geige. Aber dafür hatte der frischgebackene Meister ein sehr gutes Gehör und eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein.

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Monsieur Chaudière glaubte an sich. Er setzte sich gegen die Konkurrenz der Billigprodukte durch, indem er geduldig auf die Qualität seiner Arbeit vertraute und sich nicht von großen Firmen kaufen ließ. So scharten sich bald auch Schüler und Assistenten um den Meister, die mit ihm arbeiteten und von ihm lernten. Einige dieser ehemaligen Mitarbeiter sind in Montpellier geblieben und unterhalten heute ihre eigene Werkstatt. Als Konkurrenten verstehen sich die Geigenbauer untereinander aber nicht. Im Gegenteil, sie helfen sich mit Tipps und tauschen sogar neue Rezepte für selbst angemischte Spezialkleber oder Lacke aus. Ihre Kunden sind ihnen meist recht treu. Jeder hat seinen eigenen Kundenstamm. Die Musiker haben wohl so etwas wie einen Geigenbauer ihres Vertrauens, bei dem sie auch eine Zweitgeige oder eine neue Geige in anderem Look in Auftrag geben.

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Meister Chaudière erzählt mir die Geschichte eines australischen Musikers. Er war ein richtig guter Violinist und spielte natürlich mit einer von ihm gebauten Geige. Doch ein paar Schicksalsschläge warfen den Australier aus der Bahn. Seine Frau trennte sich von ihm, und um seine Schulden bezahlen zu können, musste er sein Instrument verkaufen. Nie wieder wollte der Mann spielen und rührte jahrelang kein anderes Instrument mehr an. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen. Doch dann wendete sich das Blatt. Als eine neue Frau in sein Leben trat, kontaktierte diese den Meister und gab eine neue Violine in Auftrag. Seither spielt der Australier wieder. Ein Happy End.

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Ehrfürchtig sehe ich mich noch etwas im Atelier um. Natürlich bin ich extrem vorsichtig und sehr darauf bedacht, hier bloß nichts anzufassen oder umzuschmeißen. Wer weiß, welchen Schaden ich da anrichten würde. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie man es schafft, dass ein schlichtes Stück Holz am Ende so einzigartig klingt. Ein faszinierender Beruf, der viel Einfühlungsvermögen und noch mehr Geduld braucht. Irgendwie finde ich das gerade total beneidenswert.

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Infos Geigenbauer in Montpellier:

Atelier Frédéric Chaudière
Hôtel Magnol
10 rue du Bayle
34000 Montpellier
Website: www.fchaudiere.fr

Das Hôtel Magnol war früher übrigens das Wohnhaus des Botanikers Magnol (1638 -1715), nach dem die Magnolie benannt wurde.

Dieser Artikel entstand im Rahmen des #FrenchCultureAward 2017 auf Einladung von Atout France, dem Musée Fabre und Montpellier Tourisme. Meine Meinung ist davon unberührt. Mit diesem Beitrag nehme ich am French Culture Award 2017 teil.