Prähistorische Wandmalereien haben immer etwas Faszinierendes an sich. Die Höhlenmalerei in Altamira ist jedoch das Unglaublichste, das ich je gesehen habe. Normalerweise sind die in die Felsen geritzten oder mit Kohle gemalten Zeichnungen schon so verwittert, dass die Darstellungen nur schwer zu erkennen sind. Manchmal muss man vorher Erklärtafeln oder Fotos, die die Zeichnungen beschreiben, ganz genau ansehen, um die Felsmalereien überhaupt zu entdecken. Nichtsdestotrotz sind diese verwitterten Linien für mich beeindruckende Fenster in eine sehr, sehr ferne Vergangenheit. Ein Mensch hat sich vor Tausenden von Jahren genau an der Stelle, an der ich mich befinde, die Mühe gemacht, etwas Erlebtes im Bild festzuhalten. Mit den Möglichkeiten, die einem damals zur Verfügung standen, war es natürlich nicht so leicht wie heute, eine Geschichte zu erzählen.
Mich begeistern diese Felsmalereien jedenfalls immer, auch wenn Zeit und Klima ihnen schon sichtlich zugesetzt haben. Denn je exponierter so ein steinzeitliches Werk der Witterung ausgesetzt war, umso schwieriger ist es meistens, die Zeichnungen zu lesen. Bei Höhlenmalereien hat man meist mehr Glück.
Die Höhle, in der man 1868 die ungewöhnliche Darstellung von Bisons, Pferden und Hirschen fand, war nach einem Steinschlag 13.000 Jahre lang vor der Welt verborgen. In der von eingebrochenen Felsen verschlossenen Höhle herrschten stabile Temperaturen. Hinter dem verschütteten Eingang konnten die Bilder aus der Steinzeit unbeschadet die Jahrtausende überdauern, ohne von der Witterung beschädigt zu werden.
Der erste, der durch Zufall den Eingang wiederentdeckte, war ein Jäger, dessen Hund plötzlich auf unerklärliche Weise verschwunden war. Der Besitzer des Stückchens Land, Marcelino Sanz de Sautuola, ein wohlhabender Philosoph und Wissenschaftler, kehrte jedoch erst rund zehn Jahre später zu dem von dem Jäger beschriebenen Ort zurück, um ihn genauer zu inspizieren. Begleitet von seiner Tochter, war es 1879 das Mädchen, das die Bilder unter der Decke entdeckte und den Vater auf die großen, unter der Höhlendecke gemalten Tiere aufmerksam machte.
Das Interesse der Spezialisten und auch des Königs war geweckt. Viele kamen, um sich die bunten Rinder unter der Höhlendecke anzusehen. Doch die Archäologen und Anthropologen hielten die Höhlenmalerei zunächst für eine Fälschung. Im Vergleich mit allen steinzeitlichen Funden, die man bis dahin kannte, waren diese Zeichnungen zu gut gemacht, zu gut erhalten, sodass man davon ausging, jemand habe sich einen Scherz erlaubt.
Erst als zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Süden Frankreichs eine ähnliche Höhlenmalerei entdeckt wurde, erkannte man die Bedeutung des Fundes an der kantabrischen Küste. Die Höhle bei Santilla de Mar entwickelte sich schnell zu einem beliebten Ausflugsziel. So gut besucht war die steinzeitlichen Kunst, dass man in den 70er Jahren den Zutritt zur Höhle verbieten musste. Die Felsmalereien drohten durch die Besucherströme Schaden zu nehmen. Rechtzeitig zog man die Reißleine, ehe unwiederbringlicher Schaden angerichtet werden konnte.
In den folgenden Jahrzehnten durften nur ausgewählte Wissenschaftler die Höhle betreten. Bis man in den 2000er Jahren begann, eine naturgetreue Replik der Höhle anzufertigen, in der die Menschen diese Jahrtausendealten Kunstwerke bewundern können: die Neocueva.
Als wir in der Nähe von Santilla de Mar spontan beschließen, uns das Museum mit der Neocueva anzusehen, haben wir Glück, denn in den Sommermonaten kann es voll werden und die Anzahl der Personen, die gleichzeitig die Höhle betreten dürfen, ist begrenzt. Ähnlich wie bei anderen großen Sehenswürdigkeiten (Sagrada Familia oder Dalí Museum) gibt es Eintrittskarten mit einem zeitlich festgelegten Zutrittsfenster.
Doch wir haben Glück und kriegen ein Ticket für die nächste Stunde. Während wir auf den Einlass in diese besondere Höhle warten, sehen wir uns das kleine Museum an. Dort wird die Geschichte der Felsmalereien und ihre Entdeckung erklärt. Auch warum, wann und wie genau man die Höhle repliziert hat, erfahren wir in der Ausstellung.
Neue Forschungsmethoden haben längst die Echtheit und das sagenhafte Alter der Höhlenmalerei von Altamira bestätigt. Zum Glück stehen den Wissenschaftlern moderne Technik und die Radiokarbon-Methode zur Verfügung, dank derer sie anhand von Knochenfunden oder der für die Malereien verwandten pflanzlichen Materialien das genaue Alter der Zeichnungen bestimmten können.
Jetzt, kurz vor dem Beginn der Sommerferien, sind ganze Schulklassen unterwegs, die hier in die Geschichte ihrer Vorfahren eingeweiht werden, aber auch amerikanische Touristen finden sich, die offensichtlich den Norden Spaniens erkunden. Dann sind wir dran. Ehe wir die Nachbildung der Cuevas de Altamira bestaunen dürfen, gibt es noch einen Film, dann dürfen wir den aufwendigen Nachbau der Höhle betreten.
Die Neocueva ist kleiner als ich erwartet habe. Nahe des Eingangs geht es ein paar Meter ins Innere der Höhle, wo sich der große Raum befindet, unter dessen Decke die polychromen Bilder der Bisons zu sehen sind. Sobald ich die ersten Tiere entdecke, bin ich ganz hin und weg. Dies hier ist so ganz anders, als alle Höhlenmalereien, die ich je gesehen habe. In unterschiedlichen Rottönen, mit geschickten Schattierungen, hat jemand hier die Bisons unglaublich lebendig verewigt, so als würden sie laufen, sich beugen, brüllen und strecken. Kleine und große Unebenheiten des Gesteins wurden ganz bewusst in das Bild eingearbeitet, sodass diese steinzeitlichen Reliefs die dargestellten Tiere sehr plastisch, beinah dreidimensional wirken lassen. Ich bin wirklich begeistert, wie wunderschön diese Malereien sind und verstehe, dass die Bezeichnung der “sixtinischen Kapelle der Steinzeit” keine Übertreibung war.
Auch wenn das hier nicht die echte Höhle ist, die aus verständlichen Gründen vor den Besuchermassen geschützt wird, ist diese naturgetreue Nachbildung nachhaltig beeindruckend. Der Nachbau ist so gut gemacht, dass echtes Höhlen-Feeling aufkommt. Die wirkliche, echte Cueva de Altamira, die nur wenige Meter neben der Neocueva liegt, dürfen neben Wissenschaftlern ab und zu ein paar ausgewählte Besucher (fünf Personen pro Woche) betreten. Für uns ist wegen Michis Gehbehinderung die Nachbildung allerdings eher von Vorteil, denn diese neue Höhle können auch Menschen mit eingeschränkter Mobilität genießen.
Infos zu den Cuevas de Altamira
Museo Altamira
39330 Santillana del Mar (Cantabria)
Website des Museums und Info-PDF
Vorab kann man Tickets übrigens auf der Website der Banco Santander sowie bei jeder Filiale der Bank kaufen. Der Eintritt kostet normalerweise 3 Euro, aufgrund von Michis Behinderung war der Eintritt für ihn + eine Begleitperson (mich) allerdings frei
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