Darwin, so nennt sich das neue alternative Zentrum, das Sophie und ich uns in Bordeaux ansehen wollen. Zu Fuß laufen wir aber erst einmal los in Richtung Chartrons, in das kleine Viertel nördlich der Altstadt, das gleich hinter der Place de Quinconces beginnt. In den engen Gassen ist es angenehm ruhig. Überall sind niedliche kleine Läden und viele nette Cafés.
Das gutbürgerlich wirkende Viertel entstand im vierzehnten Jahrhundert rund um ein Kloster, das damals noch vor den Toren Bordeaux lag. Rund um dieses Kloster ließen sich bald die Weinhändler aus aller Herren Länder nieder. Hier lagerten, kauften und verkauften sie die guten Bordeauxweine. Nach dem Zweiten Weltkrieg verließen viele der einst wohlsituierten Einwohner und Händler das Chartrons. Der Ruf der Gegend war eine Zeit lang nicht der Beste. Das änderte sich erst, als die Stadtväter zur Jahrtausendwende beschlossen, die schönen alten Gebäude zu restaurieren und diese Gegend, so nah am Zentrum und der Altstadt gelegen, zu neuem Leben zu erwecken.
Total begeistert laufen wir durch die Straßen, sehen uns links eine alte Kirche an und staunen rechts über eine schöne Holztür. Schnell stehen wir am Ufer der Garonne, diesem großen Fluss, der so braun statt blau daher geflossen kommt. Wusstest Du übrigens, dass die Garonne im Vall d‘Aran, in den katalanischen Pyrenäen, entspringt? Und dass sie deswegen so braun ist, weil sich winzige, mit den Wassermassen transportierte Tonpartikel hier bei Bordeaux mit dem Salz des Wassers aus dem Atlantik mischen und mit ihnen reagieren?
Cité du Vin
Am Ufer laufen die Jogger entlang, Eltern machen einen Spaziergang mit ihren Kindern und auch Radfahrer sind hier jede Menge unterwegs. Es dauert nicht lange, bis wir vor der erst letztes Jahr eingeweihten Cité du Vin stehen. Ein imposantes Kunstwerk. Glas, Aluminium und irgendetwas Goldfarbenes glitzern vor uns in der Sonne. Die Form wirkt leicht verdreht, beweglich, wie Wasser in einem Glas. Durch die vielen Kurven und den sich im Gebäude spiegelnden Himmel scheint die Cité du Vin gar nicht massiv, sondern ganz leicht zu sein. Sie macht fast den Eindruck, als schwebe sie am Ufer der Garonne.
Vor dem modernen Bau fließt ein alter Kanal in den Fluss. Am Ufer sammelt sich sandiger Schlamm, der im hellen Sonnenlicht gerade genauso golden, wie das Dach der Cité du Vin glitzert. Zwei ältere spanische Herren versuchen, sich vor dem Bauwerk zu fotografieren. Irgendwie klappt es aber nicht so richtig. Als ich ihnen zu Hilfe komme, sind die beiden sichtlich erleichtert. Sie stammen aus Navarra und besuchen eine Verwandte in Bordeaux, erzählen sie uns. Sie wollen sich erkenntlich zeigen und bestehen darauf, ein Foto von Sophie und mir zu machen.
Neugierig betreten wir kurz darauf den modernen Weintempel. Innen gibt es ein Restaurant, eine kleine Bibliothek und einen großen Weinladen, in dem edle Tropfen aus aller Welt verkauft werden. Im zweiten Stock befindet sich eine Ausstellung, die alles zum Thema Wein erklärt. Die komplette Tour durch die Cité du Vin dauert zwei bis drei Stunden.
Wir entscheiden uns, den Sonnenschein auszunutzen und schlendern stattdessen über die futuristisch anmutende Pont Chaban-Delmas ans andere Ufer der Garonne. Diese Brücke ist eine Sehenswürdigkeit für sich. Sie ist nämlich beweglich und kann bei Bedarf nach oben verschoben werden, damit große Kreuzfahrtschiffe unter ihr hindurchfahren können.
Darwin
Auf der rechten Seite der Garonne scheint die bisher so quirlige kleine Stadt zur Ruhe gekommen zu sein. Ein paar alte Industriegebäude und ein Grünstreifen am Ufer, viel mehr gibt es nicht zu sehen. Doch irgendwo hier muss eine alte Kaserne stehen, in der sich das Darwin Zentrum befinden soll.
Sophie erzählt mir auf dem Weg dorthin die Geschichte des Projekts, das ursprünglich mit dem Bau einer Skaterbahn anfing. Nachdem das Militär abgezogen war und die Gebäude der ehemaligen Kaserne mehr oder weniger verfielen, haben sich die Einwohner diesen „lost place“ zu eigen gemacht und hier ein ganz neues, alternatives Viertel entstehen lassen. Mittlerweile ist mit Darwin eine kleine ökologisch alternative Welt in Bordeaux entstanden, die sich Themen wie Energiesparen und Umweltschutz ganz groß auf die Fahne geschrieben hat. Die rive droite, das rechte Ufer, das lange Zeit unter seinem schlechten Ruf litt, wird Stück für Stück zu einem neuen Teil der Stadt.
Hungrig stürzen wir erst einmal in das Café, das sich gleich am Eingang des kleinen Viertels befindet. Biofood zum Kaufen oder gleich hier essen. Es ist richtig voll, viele Leute scheinen das Darwin Projekt zu kennen und zu mögen. Besonders viele Familien mit Kindern sind hier unterwegs. Auf dem Hauptweg trabt ein Pony für die Kleinsten auf und ab. Wer mag, darf eine Runde darauf reiten. Die größeren Kids sind natürlich auf der Skaterbahn unterwegs. Wobei hier wieder eine Ecke für die ganz Kleinen abgetrennt ist, in der sie ungestört auf ihren Brettern üben können.
Gegenüber entdecken wir einen Fahrradladen, ein halb abgerissenes Gebäude, in dem sich die Sprayer ausgetobt haben und eine Art Second Hand Laden. Möbel, Schmuck, Klamotten – hier gibt es wirklich alles. Sophie erklärt mir, dass der kleine Shop zur Emmaüs Bewegung gehört. Diese Organisation wurde Ende der vierziger Jahre von dem berühmten Abbé Pierre ins Leben gerufen und kümmert sich nicht nur in Frankreich, sondern auch auf internationaler Ebene, um Obdachlose. Auf allen vier Kontinenten kämpft die Bewegung gegen Armut und setzt dabei auf Hilfe zur Selbsthilfe. Wir stöbern in dem kleinen Laden und kaufen eine Kleinigkeit, denn Emmäus finanziert sich nur durch Spenden und den Verkauf verschiedener Produkte, wie hier in diesem Gebrauchtwarenladen.
Nachdem wir Darwin so ziemlich von oben bis unten durchbummelt haben, machen wir uns auf den Weg zurück ins Zentrum.
Les Cadets:
Über die alte Steinbrücke, die Pont de Pierre aus dem neunzehnten Jahrhundert, gehen wir ins Quartier Saint Michel. Dort liegt, wieder ganz in der Nähe der Garonne, eine besondere kleine Bar.
Im Les Cadets gibt es nicht nur einfache, regionale Küche und Bier aus der Region. Die Besitzer haben im hinteren Raum sogar eine Pétanque Bahn angelegt! Hoch konzentriert werfen die Einheimischen in der Bar ihre Kugeln in den Sand. Eine grandiose Idee. Während wir uns noch die Speisekarte angucken und uns überhaupt nicht entscheiden können, was wir essen sollen – alles klingt köstlich und die Preise sind total erschwinglich – kommen wir mit den netten Kellnern ins Gespräch. Dass die Leute in Bordeaux wirklich alle durch die Bank weg unglaublich freundlich sind, habe ich ja schon gesagt, oder?
Podi aver una cervesa vos pregui? Kann ich bitte ein Bier haben?
Mir fällt sofort auf, dass diese Speisekarte anders ist. Sie ist in Gascon geschrieben! Pain perdu heißt hier Pan perdut, verlorenes Brot. Ich weiß ja nicht, wie man das ausspricht, aber es schreibt sich original genauso wie auf Katalanisch! Der Sprachfreak in mir hat Blut geleckt. Ich versuche, mehr darüber herauszufinden. Leider ist sich der nette Kerl hinter dem Tresen auch nicht sicher, aber er erzählt uns, dass jeden Mittwoch eine Lehrerin kommt, die hier in der Bar Gaskognisch Unterricht gibt. Und nach dem Unterricht findet dann noch eine Chorstunde statt, natürlich auch auf Gascon. Genial!
Ich sehe mich genauer um und entdecke prompt ein paar Schilder. Ich bin total begeistert. Das ist genau meine Bar. Als dann auch noch das Essen kommt, bin ich echt hinüber. Es schmeckt wirklich unglaublich gut. Allein das Brot ist der Hammer. “Auch eine Spezialität”, lacht der nette Kellner. “Das ist ein ganz besonderes, gaskognisches Brot”. Himmel, hier will ich gar nicht mehr weg!
pan perdut
Lo ueu
Infos zu Darwin, Les Cadets und sonst so:
Cité du vin
Website: www.laciteduvin.com
Eintritt: 20 Euro, Tour ist im Citypass leider nicht enthalten.
Pont Chaban-Delmas:
2012 fertiggestellt, ist die größte Hubbrücke Europas.
Hubteil: 117 m lang, 43 m breit, angehoben: 47 m Höhe, Hubtürme: 77 m
Pont de Pierre
Zwischen 1810 und 1822 gebaut, ist sie die älteste Brücke in Bordeaux.
466 m lang
Darwin Ecosystème
87, Quai des Queyries
33100 Bordeaux
Website: darwincamp
Emmaüs Website: emmaus-france.org
Einen Artikel über die alte Kaserne findest Du hier: caserneniel.org
Les Cadets
12 Quai de la Monnaie
33800 Bordeaux
Noch ein Wort zur Gaskognischen Sprache:
Die Gaskognische Sprache wird übrigens auch im Vall d’Aran gesprochen, dort, wo die Garonne entspringt. Die in den spanischen Pyrenäen bis heute erhalten gebliebene Varietät des Gaskognischen nennt sich Aranesisch und wird in Katalonien offizell als regionale Sprache anerkannt. Gaskognisch gehört zu den Okzitanischen Sprachen und ist irgendwie auch mit dem Biarnés verwandt, der Sprache, die man in der Gegend von Pau, dem Béarn, spricht. 🙂
Für die Übernachtung in Bordeaux wurden wir für zwei Nächte von Bordeaux Tourisme und dem Hotel Tourny eingeladen. Die hier dargestellten Ansichten stellen ausschließlich meine persönliche Meinung dar.
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