Nach dem ersten Kennenlernen der Region und einer kurzen Einführung in die Geschichte der Weine gestern, geht es nun mit Christian in die Weinberge. Heute lerne ich, warum der Sancerre Wein so schmeckt, wie er schmeckt! Mein Tag beginnt mit dem Blick auf die grünen Weinreben vor meinem Fenster. Die Sonnenstrahlen lassen die Hügel und Täler vor mir in einem warmen, weichen Licht strahlen. Zwischen den sauberen, grünen Reihen der Weinreben streifen schon jetzt vereinzelte Arbeiter umher. Christian holt mich im Hotel ab und zusammen mit Bertrand, einem Spezialisten aus dem technischen Forschungszentrum, das sich dem Weinanbau der Region Centre Loire widmet, machen wir uns auf den Weg. Bertrand weiß so ziemlich alles, was es über den Sancerre Wein zu wissen gibt.
Zuerst fahren wir auf eine kleine Aussichtsplattform, eine hübsche Terrasse am Rande der Altstadt, von der ich eine gute Sicht auf die Umgebung habe. Auf einer der Bänke weiter hinten sitzt bereits ein Händchen haltendes Pärchen. So in zwei, drei Kilometern vor mir, sehe ich die Loire, wie sie mit ihren sandigen Ufern, wild und unbegradigt durch die Gegend mäandert.
Von hier aus zeigt Bertrand mir die Hügel, Täler und Ebenen, in denen der Sancerre Wein angebaut wird. Er erklärt die Auswirkung der Neigung der Hänge und der Bodenbeschaffenheit. Auf einem relativ kleinen Gebiet gibt es im Sancerre ganz unterschiedliche Gesteinsschichten an der Oberfläche. Je nachdem ob die Trauben auf Flintstein, Silex nennt er das, oder auf weichem Kalkstein angepflanzt wird, entwickeln sich die Weinreben nämlich ganz unterschiedlich. Auf dem harten Feuerstein können die Pflanze nicht so tiefe Wurzeln schlagen. Auf dem weicheren Kalkstein können sie hingegen tiefer in den Boden eindringen und kommen so besser an Grundwasser heran.
Damit ich den Unterschied der Böden besser verstehe, fahren wir zur Veranschaulichung direkt zum Weinstock.
Flinstein, Feuerstein oder auch Silex genannt
der weichere Kalkstein
La Faille
„La faille“ ist ein Graben oder eine Spalte in der Erde. Nur zwei Meter voneinander entfernt, finden wir total verschiedene Böden: Auf der einen Seite des kleinen Weges den harten Flintstein oder Feuerstein und auf der anderen Seite den weicheren Kalkstein. Bertrand nimmt aus jedem Weinstock einen Stein in die Hand und weist mich auf die vielen Unterschiede hin. Dann fliegt jeder Stein wieder auf sein Feld. „Ordnung muss sein“, lacht Bertrand. Sancerre selbst liegt auf einer Art Sockel aus hartem Feuerstein. So langsam verstehe ich. Hier hat sich die Erde im Laufe vieler Jahrtausende ordentlich bewegt und so sind eben die verschiedenen Schichten an die Oberfläche gelangt. Und das hat eben auch Einfluss auf die Trauben und den Geschmack der daraus produzierten Weine.
Ich entdecke einen Rosenstrauch und frage, ob der auch der Prophylaxe von Schädlingsbefall dient (wie uns der Txakoli Weinbauer im Baskenland erklärt hat) oder ob er doch eher zur Dekoration da steht. Bertrand muss wieder lächeln. „Es stimmt schon. Die Rosen können dabei helfen, mögliche Schädlinge frühzeitig zu erkennen“, gibt er zu „Aber wir haben da heute noch verläßlichere Methoden“. In seinem Forschungszentrum geht es nicht nur darum, herauszufinden, warum welcher Boden, welche Neigung des Hangs oder das Klima, Einfluss auf die Weinreben haben. Es geht auch darum, die Weinreben vor einem möglichen Schädlingsbefall zu schützen und vorzubeugen.
Tägliche Beobachtung und Untersuchungen der Weinstöcke helfen dabei, rechtzeitig die entsprechenden Empfehlungen an die Weinbauern ausgeben zu können. Das ist alles sehr, sehr interessant. In meinem Kopf beginnen sich langsam viele vereinzelte Informationen wie in einem Puzzle zu einem Ganzen zu formen. Ich finde das alles ziemlich aufregend und habe richtig Lust, den Wein, den ich ja sowieso gern trinke, noch besser zu verstehen.
Mittlerweile ist es Zeit zum Mittagessen. Christian fährt mit mir nach Chavignol, einem verschlafenen Nest, in dem offenbar gerade die „Hauptstraße“ repariert werden muss. Mitten im Ort liegt jedenfalls ein verstecktes, kleines Restaurant, das P’tit Goûter. Es ist noch früh, gerade Mal zwölf Uhr. In Spanien wäre jetzt Zeit für ein zweites Frühstück. Es ist also nicht weiter erstaunlich, dass wir die ersten Mittagsgäste sind.
Es riecht nach kaltem Kaminfeuer und Steinen. Ich liebe diesen Geruch. Das Restaurant ist ein kleiner Familienbetrieb. Unser Kellner, dessen Name ich leider nicht weiß, und ein süßer Hund begrüßen uns ganz herzlich. Christian kommt öfter hierher. Man kennt sich. Small Talk über die lästigen Bauarbeiten vor der Tür. Sehr ungünstig, mitten im Sommer, wenn die Touristen kommen. Aber was will man machen, die Straße musste halt mal geteert werden.
Auf einer Schiefertafel steht das Menü. Ich bestelle Oeuf Coquotte mit Pilzen und dem traditionellen Chavignolkäse, der aus diesem kleinen Ort stammt. Und wenn ich schon dabei bin, gleich auch noch das Omelette mit Käse. Der Chavingol ist nämlich eine bekannte Spezialität, die ich selbstverständlich probieren muss. Christian bestellt eine Andouillette. Das ist zwar ebenfalls eine Spezialität, aber mit Innereien. Ich nehme lieber den Käse. Dazu trinken wir selbstverständlich einen leckeren, trockenen Sancerre. Die Coquotte stellt sich als eine lustige Mischung aus Ei, Käse und Pilzen heraus und ähnelt einem Auflauf in einer Souffléform. Auch wenn es vielleicht nicht designermäßig aussieht, ist es dafür aber wahnsinnig lecker. Für mich perfekt!
Nach dem Essen sind wir wieder in Sachen Wein unterwegs. Wir kommen an mehreren Schlössern vorbei, die allesamt auch Weinproduzenten sind. Christian meint, das liege oft daran, dass eben viel Land zu den Châteaus gehört. Früher waren die Weinproduzenten vorwiegend Châteaus oder auch Klöster. Eines dieser Schlösser ist das Château Nozet. Die Weine der zum Schloss gehörenden Domaine de Ladoucette zählen zur Appellation Pouilly- Fumé. Wir halten kurz an und gucken. Neben den Weinreben und einigen Rosensträuchern entdecke ich einen Busch mit schwarzen Johannisbeeren. „Die machen hier auch Cassis“, erklärt Christian.
Dann fahren wir weiter nach Saint-Céols zur Domaine Pierre Jacolin. Pierre nimmt uns auf dem Hof in Empfang und führt uns in den Verkostungsraum. Seine Domaine gehört zur Appellation Menetou-Salon, eine der sieben Sancerrois Appellationen. Seine Domaine ist Teil einer Nachhaltigkeitsbewegung französischer Weinproduzenten, der Terra Vitis.
„Es geht nicht nur um Bio“, erläutert er gleich die Frage, die mir schon auf der Zunge liegt. „Die nachhaltige Weinproduktion ist der Bio-Produktion zwar ziemlich ähnlich, aber es gibt doch ein paar Unterschiede. Zum Beispiel ist Zink ein natürliches Bio-Schädlingsbekämpfungsmittel. Öfter eingesetzt ist es aber schlecht für den Boden, weil es sich nicht selbst wieder abbaut!“ Pierre ist wirklich durch und durch engagiert. Ihm liegt es sehr am Herzen, dass auch seine Kinder und Kindeskinder hier noch Wein anbauen können. Er hat sogar ein Motto, das über seinem Schreibtisch an der Wand hängt und das er mir ausdruckt. Es stammt von dem Philosophen Hans Jonas und dreht sich um die Ethik der Verantwortung:
„Vis de telle sorte que ton action soit compatible avec la permanance d’une vie authentiquement humaine sur terre.“
„Lebe so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten, menschlichen Lebens auf Erden.“
Wir verkosten einige Weine. Die Domaine Pierre Jacolin produziert vorwiegend Weißweine. Rotwein macht nur einen sehr kleinen Teil der Gesamtproduktion hier aus. Sein roter Menetou-Salon Cuvée des Bénedictins Jahrgang 2012 ist unglaublich gut! Hundert Prozent Pinot Noir, hat kaum Tanin, ist dafür aber sehr kirschig. Zum Schluss dürfen wir auch noch einen Cassis probieren, den Pierre aber nur in ganz kleinen Mengen herstellt. Die 800 g Frucht auf einen Liter Cassis schmeckt man! Es ist als würde ich Johannisbeeren trinken. Genial!
Schließlich fahren wir noch die Weinreben ansehen. Der Rebstock, den wir besuchen, hat eine Hanglage mit einer Hammeraussicht auf das Dorf Morogues. Von der Aussicht haben die Trauben zwar nichts, aber ich genieße sie! Die letzten Meter fahren wir mit seinem Auto, denn mein schicker Mietwagen käme hier gar nicht den Berg hoch. Ich entdecke versteinerte Fossilien im Boden: Muscheln und Schnecken. „Das war alles einmal Meer“, sagt Pierre lachend und schenkt mir einen Stein.
Zwischen den Weinreben wächst etwas Unkraut – mit Absicht. Das gehört zum biologisch nachhaltigen Anbau dazu. Falls Schädlinge auftreten sollten, werden sie sich nämlich nicht allein konzentriert auf die Weinreben stürzen, sondern auch die anderen Pflanzen befallen, was den Befall schon einmal abschwächt. Außerdem leben in den wilden Kräutern natürlich auch andere Insekten, die mögliche Schädlinge fressen und sie so auf ganz natürlich Weise vernichten. Eine sehr schlaue Methode. Überhaupt bin ich begeistert, wie viel Wert in der gesamten Region auf eine nachhaltige und biologisch – ökologisch verträgliche Anbauweise gelegt wird.
Gegen Abend fahren Christian und ich noch weiter nach Bourges. Beim Abendessen unterhalten wir uns natürlich wieder über Wein. Christian verrät mir einige grundlegende Tipps, wie man zum Weinspezialisten wird. Er selbst hat schon viel von der Welt gesehen, erlebt und probiert, aber Wein ist seine absolute Leidenschaft. „Um die einzelnen Rebsorten und später dann auch die Weine unterscheiden zu können, sind drei Dinge unerlässlich“, sagt er. „Alle drei Punkte sind gleich wichtig. Eines geht nicht, ohne das andere.“ Ich lausche gebannt.
„Erstens musst du lesen. Alles, was du zum Thema Wein in die Finger kriegst. Lies so viel du nur finden kannst. Informiere dich über die Region, über die Trauben, über die geologische und klimatische Beschaffenheit der Böden. Lies, was die verschiedenen Experten zu den unterschiedlichen Jahrgängen sagen.“ Das hört sich schon einmal nach viel Arbeit an. Aber es geht noch weiter. „Zweitens musst du verkosten. Nur theoretisches Wissen, ohne die Weine zu verkosten, hilft dir gar nichts.“ Das klingt auch sehr logisch. Es ist bestimmt auch der netteste Teil, der Ausbildung, die ich mir gerade selbst im Kopf zurechtbastele.
Ich nehme mir fest vor, das Thema ernsthaft zu vertiefen und noch viel mehr über Wein zu lernen. Dann kommt der dritte und letzte Punkt: „Und du musst mit anderen Leuten reden. Du musst dich mit anderen Weinliebhabern, Fachleuten, Weinbauern unterhalten, ihnen zuhören, und unterschiedliche Meinungen vergleichen“. Alles klar. Ich weiß, was ich zu tun habe!
Dann ist es Zeit, Abschied zu nehmen. Schweren Herzens verabschiede ich mich von Christian und der Region Sancerre. Das war ein wunderschöner Tag, ich würde gern hier bleiben. Aber morgen führt mich meine Route weiter nach Westen. Die Loire ist ein sehr langer Fluss und es gibt noch so viel mehr zu sehen 🙂
Nützliche Informationen zum Sancerre Wein :
Au P’tit Goûter
Bourg Chavignol
18300 Sancerre
Domaine Pierre Jacolin
Le Bourg
18220 Saint Céols
Website: menetou-salon-jacolin.fr
De Ladoucette – Château du Nozet
58150 Pouilly-sur-Loire
Website: www.deladoucette.fr
Hinweis: Diese Reise entlang der Loire wurde von Atout France unterstützt. Vielen Dank an Christian für den wunderbaren Tag! Die hier dargestellte Meinung spiegelt selbstverständlich ausschließlich meine eigenen Ansichten und Erlebnisse wieder.
Wow, wunderschöne Fotos und eine tolle Geschichte. So wahnsinnig viel verstehe ich acuh nicht von Wein, aber ich lerne immer gern dazu. 😉
Liebe Grüße aus Matrei am Brenner
Danke Dir! Letztendlich geht es – finde ich – auch beim Wein darum, was einem schmeckt oder eben vielleicht nicht so gut schmeckt. Aber je mehr man darüber weiß, umso mehr schmeckt man eben auch. 🙂 Ich bin jetzt jedenfalls wild entschlossen mehr zu lernen 🙂
Was für schöne Landschaften sind es. Von Wein verstehe ich nicht viel und trinke sowieso nur sehr süße Weine…Liebe Grüße
Die Landschaft ist echt wahnsinnig schön! und Weine gibt es von süß bis trocken – alles!
Liebe Grüße!!!