Bewaldete Berge und Hügel erstrecken sich vor mir, so weit das Auge reicht. Mitten in Castilla y León, wo ich so viel Grün gar nicht erwartet hätte, erhebt sich die Sierra de Francia. Ambrosio Jiménez ist einer der Weinbauern hier in der Gegend und er erklärt mir gerade, dass es hier so grün sei, liege daran, dass es in der Sierra fast so viel regnet wie in Galicien.

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Von der portugiesischen Serra de Estrela zieht sich das zentrale Gebirgsmassiv der Iberischen Halbinsel, die Cordillera Central, bis nach Soria. Zu den Höhenzügen, die diese Gebirgskette ausmachen, gehört auch die Sierra de Francia. Hinter ihren grünen Wäldern grenzt das „alte Kastilien“, Castilla y León, an das „neue Kastilien“, Castilla La Mancha, und die Extremadura. 22 kleine Dörfer sollen sich in den nicht immer leicht zugänglichen Winkeln der Sierra de Francia verbergen.

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Dass der französische Einfluss hier nicht nur in den Namen, sondern auch in der Architektur der Häuser so stark zu spüren ist, hat einen ganz bestimmten Grund. Nachdem Alfonso IX, König von León, im 12.-13. Jahrhundert die maurische Bevölkerung aus der Gegend vertrieben hatte, stellte das Gebirge lange Zeit die Grenze zwischen dem christlichen und dem muslimischen Teil der damals bekannten Welt dar. Zur Grenzbefestigung besiedelte man die neu eroberten Gebiete damals mit Familien, die hier Häuser bauten und von der Landwirtschaft lebten. Die neuen Siedler der Sierra stammten zum großen Teil aus dem Gefolge Raymonds de Bourgogne, der den kastilischen König bei den Eroberungsfeldzügen gegen die Mauren unterstützt hatte. Der kleine Fluss durch das Gebirge heißt daher noch heute schlicht und einfach „Francia“, wie die Heimat der Zuwanderer.

Die Weine der Sierra de Francia

Winzer wie Ambrosio und Augustin, ein Weinbauer, den wir später in Mogarraz treffen, arbeiten auf den hoch gelegenen Terrassen der Sierra de Francia mit einigen sehr alten Weinstöcken, die schon vor rund Hundert Jahren angelegt wurden. Die Aussicht ist unglaublich: Sonnenstrahlen treffen auf die sattgrüne Landschaft, ein paar Schäfchenwolken zieren den blauen Himmel. Hinter Ambrosius heben und senken sich die Hügel, soweit das Auge reicht. Mit rund 1700 Metern ist die Peña de Francia, ein Bergkamm, der sogar schon in Cervantes „Don Quijote“ erwähnt wird, einer der höchsten Punkte der Sierra. (Noch 7 Meter höher ist der Gipfel Pico de La Hastiala mit 1735 m)

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Diese relativ hohe Lage der Weinstöcke schützt Ambrosios Reben zwar vor manchen Schädlingen, aber die Bearbeitung und Pflege in den Bergen sind nicht einfach. Der Anbau in Terrassen macht den Einsatz von Maschinen fast unmöglich. Hier wird alles per Hand bearbeitet. Die wild wachsenden Kräuter zwischen den Weinstöcken „mähen“ Schafherden, die hier im Winter grasen, bevor neue Trauben wachsen, und düngen praktischerweise auch gleich den Boden. Dadurch, dass auf den alten Weinstöcken, ganz ähnlich wie in Arribes, rote und weiße Trauben für den Eigenbedarf nebeneinander gepflanzt wurden, reifen nicht alle Trauben zur gleichen Zeit und Ambrosio muss einen einzelnen Weinstock mehrmals lesen. Doch er ist voller Leidenschaft bei der Sache.

Angeblich soll der naturliebende Winzer in der Lage sein, einen Schädlingsbefall zu erkennen, bevor er überhaupt stattfindet (das munkelt man jedenfalls im Dorf) und kann rechtzeitig rein pflanzliche Gegenmaßnamen ergreifen. Stolz zeigt er uns die über 100 Jahre alten Weinstöcke, erklärt die Blätter der unterschiedlichen Traubensorten und die Geschichte der Reben. Natürlich baut Ambrosio rein ökologisch an und vorwiegend autochthone Sorten an.

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Nach dem Besuch auf dem Weinstock geht es in den Weinkeller. Mitten in einem kleinen Zauberwald, zwischen verwunschenen Bäumen, an denen Flechten und Moose sprießen, reifen seine Weine heran. Unauffällig, hinter Erdbeerbäumchen und grünen Pflanzen fast verborgen, schmiegt sich das Gebäude, in dem die Kellerei untergebracht ist, in die grüne Landschaft. In den Fässern der Bodega Cámbrico, deren Name an die erdgeschichtliche Zeit erinnert, in der die Granitböden der Sierra entstanden, ruhen weiße und rote Weine.

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Ein anderer Weinbauer der Sierra ist Augustín Maillo. In Mogarraz verkauft er seine Weine und betreibt das Restaurant Mirasierra, in dem er selbst erfolgreich am Herd steht. Wie Ambrosio legt Augustín Wert darauf, mit autochthonen Trauben zu arbeiten, zu denen seit 2020 auch ganz offiziell die weißen Rufete gehören, die, ebenso wie die roten Rufete, in der Sierra de Francia zu Hause sind.

Augustí Maillo La Zorra

Die Weinstöcke der Sierra de Francia gehören zur D.O.P. Sierra de Salamanca, einem Anbaugebiet, das auf wenige Hektar Fläche begrenzt ist und verglichen mit anderen D.O.s eine geringe Menge Wein produziert. Statt Masse konzentriert man sich hier darauf, besondere Weine zu produzieren, die es nirgendwo sonst gibt. Augustin ist nicht nur ein leidenschaftlicher Weinbauer, sondern ein mindestens genauso guter Koch. In dem kleinen Laden mit den bunten Graffiti verkosten wir zu den Weinen passende Tapas aus seinem Restaurant, wie die traditionellen patatas meneas.

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Aus seiner langjährigen Erfahrung in der Gastronomie weiß Augustí, dass Gäste oft einen bestimmten Wein trinken möchten, sich aber nicht an den Namen erinnern. Damit das mit seinen Weinen nicht passiert, entschied er sich für den einprägsamen seiner Bodega: „La Zorra“ (die Füchsin) soll nicht nur an die Natur und die Wälder in der Sierra de Francia erinnern. Im Spanischen hat das Wort eine doppelte Bedeutung – so werden die Gäste Augstíns Weine garantiert nicht vergessen.

Mogarraz

Bunte Geranien blühen auf den hölzernen Balkonen. Schüchtern lächelnde und grimmig dreinschauende Gesichter zieren die Fassaden der Häuser. Die Bilder an den Wänden sind das Erste, was an Mogarraz auffallend anders ist.

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Das Dorf der 1000 Gesichter wird Mogarraz manchmal in Spanien genannt, dabei sind es genau genommen nur etwas über 800. Doch ihre Anzahl wächst beständig, denn seit die ersten Köpfe an die Wand gehängt wurden, trudeln immer neue Porträtwünsche bei Florencio Maillo, dem Maler dieser ungewöhnlichen Wandgemälde ein. Alles begann 1967 mit einer Serie von Fotos, die ein Fotograf von 388 Einwohner:innen in Mogarraz anfertigte. Als die Negative dieser Ausweis- und Führerscheinfotos Jahrzehnte später in die Hände des Malers fielen, begann er sie als Vorlage seiner ungewöhnlichen Gemälde-Serie zu nutzen. Seit 2012 zieren nun die Gesichter der Bewohner:innen das Dorf und Mogarraz wurde berühmt, zumindest in Spanien.

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Doch bei einem Spaziergang durch die alten Straßen fallen nicht nur die Porträts auf. Auch die Architektur der Häuser ist ungewöhnlich. Es heißt, die aus Frankreich stammenden Familien, die sich im 15. Jahrhundert bei der Neubesiedlung der Sierra hier niederließen, haben die Art des Hausbaus aus der Heimat mitgebracht. Tatsächlich erinnern mich einige der Fassaden an die Fachwerkhäuser, wie man sie auch in der Bourgogne finden könnte.

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Manche der Häuser sind gar noch mit großen Kreuzen über der Tür versehen. Laut Soledad, engagierte Bürgermeisterin und unser Guide heute, ein Hinweis darauf, dass hier einst konvertierte Juden lebten. Lange bevor jüdische und muslimische Menschen endgültig aus Spanien vertrieben wurden, traten viele derer, die nicht weggehen konnten oder wollten, offiziell zum Christentum über. Um ihre neue Religionszugehörigkeit zu unterstreichen und auch nach außen hin sichtbar und glaubhaft zu machen, zierten oft christliche Symbole die Häuser der Konvertiten. An einem der alten Gebäude weist Soledad auf ein florales Muster, in dem ein versteckter Davidstern zu erkennen sei. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass man dem alten Glauben doch nicht so ganz abgeschworen hatte.

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Das kleine Dorf steckt voller Geschichten und spannender Persönlichkeiten. Eine von ihnen muss Tia Adele gewesen sein, deren Bildnis einen besonderen Platz, weit oben an einem Turm, einnimmt. Die längst verstorbene Dame hat oft und gern gesungen und viele alte Geschichten erzählt. Jeden Tag erklingt eine Aufnahme ihrer Lieder mehrere Stunden lang auf dem kleinen Platz. Vor dem kleinen Museum erklärt Soledad die Bedeutung alter Handwerkskünste wie Schusterei, Goldschmieden oder das Anfertigen kunstvoller Verzierungen, der so genannten Bordados. Auf diese ganz speziellen Stickmuster ist man hier sehr stolz, denn die Bilder der dargestellten Tiere und Figuren stecken voller Symbole und verborgener Bedeutungen.

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Miranda del Castañar

Im 13. Jahrhundert war das kleine Bergdorf Miranda del Castañar der Hauptort der Sierra de Francia. Die dicken Mauern der alten Burg zeugen noch heute von der Wehrfähigkeit der alten Festung. Die Anlage diente sowohl der Verteidigung, war zugleich aber auch prunkvoller Palast der herrschenden Familie. Auf dem großen Platz zu Füßen des Burgturms, wo heute die PKWs der Anwohner und Besucher parken, zeugen schmale Schlitze in den steinernen Umgrenzung davon, dass hier einst blutige Stierkämpfe stattfanden. Angeblich ist dieser Platz sogar eine der ältesten Stierkampfarenen in ganz Spanien. Vier Tore führen durch die in weiten Teilen noch gut erhaltenen Stadtmauer in den kleinen Ort hinein.

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Wir betreten Miranda del Castañar durch die Puerta de San Ginés. Über einer Haustür erinnert ein rechteckiges Muster daran, dass das Dorf früher für die Herstellung von Schokolade berühmt war. Insgesamt drei kleine Manufakturen soll es hier gegeben haben. Auch hier finden sich Symbole und versteckte Anzeichen dafür, dass in einigen der Häuser Konvertiten gelebt haben könnten. An der Kirche gab es sogar einen kleinen schwer zugänglichen Hintereingang für die „neuen“ Christen, denen das Hauptportal der Kirche offenbar versagt blieb.

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Bei einem Rundgang lauschen wir den vielen alten Sagen und Legenden. Bei der Geschichte einer Gargoyle lausche ich auf. Angeblich konnten junge unverheiratete Frauen, wenn sie im Dunkeln allein unter dieser Gargoyle vorbeigingen, schwanger werden. Offenbar brauchte man eine einigermaßen vertretbare Erklärung dafür, warum junge Frauen, vor allem dann, wenn sie für eine Nacht an den Hof des Herrschers gerufen worden waren, unverheiratet schwanger werden konnten.

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Unterhalb des Ortes liegt an dem Flüsschen Francia eine alte Mühle. Mehl wird hier schon länger nicht mehr gemahlen, denn die Eltern der drei Schwestern, die auf der grünen Wiese regionale Leckereien servieren, haben die Getreidemühle der Großeltern schon vor Jahren in ein Restaurant umgewandelt. Seither gibt es auf der hübsch gelegenen Terrasse am Bächlein der Sierra Slow Food in idyllischem Ambiente.

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Infos zur Sierra de Francia

Ruta de vino Sierra de Francia:
Zur Weinroute durch die Sierra de Francia gehören neben Besichtigungen der Bodegas wie La Zorra oder Cámbrico auch Wanderungen durch den Naturpark „Las Batuecas–Sierra de Francia“ und Aktivitäten wie Weinlese, Weinfeste oder die Batalla de Vino.  rutadelvinosierradefrancia.com/

Zur D.O.P. Sierra de Salamanca gehören 7 Bodegas, deren Weine auf eine Fläche von 71,56 Hektar heranwachsen.  www.dosierradesalamanca.es/en

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Vinos LaZorra
Calle San Pedro
37610 Mogarraz
Website www.vinoslazorra.es und www.restaurantemirasierra.com

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Bodega Cámbrico
37658 Villanueva del Conde
Website www.cambrico.com/

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Restaurante El Molino
Carretera Salamanca-Coria
37660 Miranda del Castañar

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Hinweis: Die Sierra de Francia habe ich im Rahmen einer Pressereise besucht.