Die Küsten der Normandie tragen wunderschöne Namen: Côte fleurie, die blühende Küste, Côte d’Albâtre, die Alabasterküte oder Côte de Nacre, die Perlmuttküste. Wie poetisch das doch gleich klingt. Aber warum heißt die Perlmuttküste eigentlich so? Ob es vielleicht mit den vielen Muscheln und Austern zusammenhängt, die man hier findet? Besonders für die Jakobsmuscheln sind die Häfen an der Côte de Nacre ja wirklich berühmt. Vielleicht hat man früher aus dem Perlmutt, dieser glänzenden Schicht der Muscheln, schöne Knöpfe, Schmuckstücke oder andere Verzierungen gefertigt?
Nachdem ich bereits mit Christelle zur pêche à pied zwischen den Felsen von Saint Aubin sur Mer unterwegs war und bei Monsieur Benoist in Courseulles köstliche Austern probiert habe, zeigt mir Mathilde nun ihren Teil der Perlmuttküste.
Luc sur Mer:
In Luc sur Mer stehen schon die alten Badehäuser für den Sommer bereit. Früher zogen sich die prüden Damen der guten Gesellschaft hier um, bevor sie züchtig gekleidet, von den Badehelfern ins Wasser getragen oder an Pfähle gebunden wurden, damit sie nicht von den Wellen mitgerissen werden konnten. Schwimmen konnte damals nämlich kaum jemand, als die Seebäder Anfang des letzten Jahrhunderts in Mode kamen.
Gerade als Mathilde und ich am Strand ankommen, steht eine Mutter mit ihrem Sohn vor einer geöffneten Kabine. Bis heute werden diese Badekabinen also immer noch genutzt. Auch wenn hier kaum mehr Platz ist, als man zum Abstellen eines Liegestuhls und einer Quieteschente braucht. Aber es reicht immerhin, um sich in Ruhe umzukleiden und seine Sachen hier gut verschlossen zu wissen, wenn man zum Schwimmen ins Wasser geht.
Mathilde und ich gehen zu einem langen Pier, der vom Ufer aus über das sandige Watt bis zur Wasserkante reicht. An der jetée, wie diese Art Pier hier genannt wird, findet man oft Angler, die mit langer Leine ihr Glück im Meer versuchen. Bei dem Nebel heute ist allerdings außer uns kaum jemand unterwegs und wir haben den Pier fast für uns allein.
Mir fällt auf, dass es in Luc sur Mer und vielen anderen Orten an der Perlmuttküste ein funktionierendes Casino gibt. „Das sind noch Überbleibsel aus der Zeit der mondänen Seebäder“, erklärt mir Mathilde. Damals waren die Casinos Treffpunkt der wohlhabenden Bürger. Hier wurden Theaterstücke aufgeführt und es gab viele verschiedene kulturelle Aktivitäten. Merkwürdigerweise funktioniert der Teil mit dem Glücksspiel offenbar bis heute.
Während wir so an den Badehäusern vorbeischlendern, erzählt Mathilde mir auch, dass der alte Stadtkern von Luc sur mer eigentlich ein ganzes Stück weiter im Hinterland liegt. Erst als die Besucher aus Paris hierherkamen, um die gesunde Seeluft zu schnuppern, errichtete man die ersten Häuser direkt am Strand. Da die Kirche natürlich hinten im Dorf lag, war sie vielen der vornehmen Herrschaften zu weit entfernt und so gingen sie sonntags oft nicht zum Gottesdienst. Das konnte der zuständige Priester natürlich nicht hinnehmen und liess prompt eine strandnahe Kirche errichten, um sicherzustellen, dass seine Schäfchen zur Messe kamen.
Bevor sich die Küste Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zu einem angesagten Tummelplatz für wohlhabende Badegäste entwickelt hatte, hatte man das Meer oft eher als eine Art Müllhalde betrachtet. Als in Frankreich zahlreiche Religionskriege tobten, während derer Katholiken gegen Protestanten einander erbittert bekämpften, verscharrten die gläubigen Katholiken ihre protestantischen Gegner hier in einer Grube am Meer. Dieses Stück der Uferpromenade nennt sich bis heute Place du petit enfer, Platz der kleinen Hölle.
Heute lockt mich jedoch ein fröhlich buntes Häuschen an der Ecke des Platzes an. Hier verkauft Jordy Guiguis. Ich habe nicht die geringste Ahnung was ein Guigui sein könnte und muss mir natürlich sofort eins bestellen. Jordy lacht, während er mir von einer kaugummiartigen Masse auf dem Marmortresen ein Stück abschneidet und es zurechtzieht. Ein Guigui ist eine Art gezogenes Kaubonbon, erklärt mir. Man kann mehrere Farben bzw. Geschmäcker mischen, dann sieht es noch lustiger aus. Ich fange lieber erst mal mit einer Sorte an. Jordy hantiert geschickt mit der knetartigen Masse und wickelt sie schließlich um ein kleines Stöckchen Holz, das er mir überreicht.
Ein Bonbon am Stil! Und zwar ein ziemlich Großer! Dabei ist der für zwei Euro schon der Kleinste der möglichen Guiguis! Und das ist fast geschenkt, denn um ein Kilo der Masse herzustellen, braucht Jordy mehrere Stunden. „Alles nur aus natürlichen Zutaten“, betont er. Das genaue Rezept ist natürlich geheim. Das gibt ein Guigui-Macher nicht einfach so preis. Allerdings scheint Jordy bald der Letzte seiner Art zu sein. Offenbar bringt der Verkauf von industriell gefertigten Süßigkeiten mehr Geld und ist weniger aufwendig. Dabei waren die lustigen Bonbons, als sie hier vor über hundert Jahren erfunden wurden ein mega Erfolg.
Es war im Jahr 1906, die Seebäder der Normandie boomten gerade. Da fiel einem Monsieur Gros diese süße Leckerei ein, die er damals noch in einem kleinen Holzhäuschen am Strand verkaufte. Das Rezept hat er wohlbehütet nur an seine Nachkommen weitergegeben, die es wiederum in den siebziger Jahren an die Familie Crochard übergaben. Von ihnen haben Jordy und Sam die hohe Kunst der Guigui-Zubereitung gelernt und bieten täglich neue Sorten an. Eine fantastische Geschichte und definitiv lecker. Wenn du nach Luc sur mer kommst, musst Du unbedingt ein Guigui probieren!
Meinen Bonbon lutschend, spazieren wir weiter, bis wir in einem hübschen kleinen Park stehen. Dort stehe ich überraschend vor dem riesigen Skelett eines Wals. Niemand weiß bis heute so richtig, warum er hier in der Nacht vom 14. auf den 15. Januar 1885 gestrandet ist. Neunzehn Meter lang und vierzig Tonnen schwer. Doch warum kam das riesige Tier ganz allein hierher? Dem verendeten Wal zu Ehren haben die Einwohner von Luc sur Mer ein kleines Museum eingerichtet.
Auf dem Rückweg halten wir kurz in Bernières-sur-Mer. Dort stehen die alten Badehütten direkt im Sand. Von der Terrasse des kleinen Restaurants soll man eine superschönen Blick auf den Sonnenuntergang haben, verrät mir Mathilde. Leider ist der Père Tranquille allerdings noch geschlossen. Schade.
Infos Perlmuttküste – Côte de Nacre:
La Guiui de Luc
5 place du petit enfer
14530 Luc sur Mer
Hier verkaufen Sam und Jordy ihren leckeren Kaubonbons aus gezogenem Zucker.
Maison de la Baleine
Parc municipal – Rue de la Mer
14530 Luc sur Mer
Kleines Museum im Park vor dem Rathaus.
Le Père Tranquille
Rue Victor Tesnière
14990 Bernières-sur-Mer
Ein nettes kleines Restaurant, direkt am Strand. Leider war ich nicht drin, aber es sieht so nett aus, dass ich dort unbedingt hinfahren möchte, wenn ich das nächste Mal in der Normandie bin.
Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Blogtrips. Vielen an Dank an Normandie Tourisme und Atout France.
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