Wie jeden Morgen melkt Fatima die Ziegen. Der alte Bock steht stumm kauend in der Ecke. Eine besonders neugierige Kletterziege ist auf die Futterkrippe gestiegen. Vielleicht gefällt ihr die Aussicht von dort oben zum Fressen einfach besser. Unten am Boden knabbert ein junges Zicklein frech an meiner Handtasche. Es herrscht Chaos um mich herum. Die Ziegen halten sich einfach an keine Ordnung. Sie rennen hier im Stall wild durcheinander, wo sie gerade Lust haben. Große und kleine Ziegen, weiße und braune, junge und alte. Ich weiß gar nicht, wohin ich zuerst gucken soll. Doch Fatima lacht.
In aller Ruhe beginnt sie, das Euter einer der Ziegen abzutasten. Dann drückt sie leicht und schon kommt in einem kräftigen Strahl die Milch herausgeschossen. Bald schon hat die Ziegenhirtin eine kleine Kanne gefüllt. Vorsichtshalber füllt sie die allerdings draußen vor dem Stall in eine große Kanne um. Hier drinnen würden die Ziegen wahrscheinlich alles umrennen und die gute Milch wäre verloren.
Früher gab es hier in Ferreira de São João über hundertfünfzig Ziegen. Heute sind es nur noch rund fünfzig. Das kleine Dorf in den Bergen Portugals gehört zu den Schieferdörfern, den aldeias do xisto. Die Ziegen waren hier oben immer schon ein wichtiger Bestandteil des alltäglichen Lebens. Sie geben Milch, die man trinken und aus der man Käse machen kann. Junge Ziegen wurden verkauft, alte Ziegen wurden gegessen. Sicher hatten die Leute auch eine Verwendung für den Rest der Tiere.
Fatima ist eine der Frauen im Dorf, die auch heute noch Ziegen hält. Früh am Morgen, wenn der Tag gerade erst beginnt, geht sie mit den Tieren auf die Weide. Später wird es denn Ziegen nämlich schnell zu warm. Dann machen sie sich von ganz allein auf den Rückweg nach Hause. Sie stehen lieber im kühlen Stall, als in der heißen Sonne und futtern dort in Ruhe weiter.
Mit geübten Fingern streicht Fatima dann die prall gefüllten Euter der Muttertiere aus. Es sieht eigentlich ganz einfach aus. Fatima sucht eine besondere ruhige, ältere Ziege, die sich nur ungern erhebt. Doch Fatima redet lachend auf sie ein, wie auf ein kleines Kind. Am Ende sieht die Ziegendame ein, dass es wohl doch besser ist, ihre Milch loszuwerden. Ich sehe ganz genau zu, wie Fatima es macht und dann bin ich dran.
Doch ich bin sehr ängstlich. Nur ein dünner Strahl Ziegenmilch kommt aus der Zitze. Das Euter ist überraschenderweise unglaublich warm und weich. Es ist zwar ein wenig haarig, aber ansonsten fühlt es sich sehr … menschlich an! Wahrscheinlich muss ich einfach nur fester zudrücken, doch ich will der armen Ziege nicht wehtun! Ein zweiter dünner Strahl Ziegenmilch landet zaghaft in meinem kleinen Eimer. „Die will doch gemolken werden“, versucht Fatima mich lachend zu ermutigen. Sie hat leicht reden. Die Ziegenhirtin hat natürlich keinerlei Berührungsängste. Respektvoll verabschiede ich mich von der geduldigen Ziege und überlasse doch lieber Fatima das Melken.
Fatima strahlt nur so vor Gesundheit. Die raue Landschaft, der Umgang mit den Tieren und die gute Luft in den Bergen, das ist schließlich ihr Alltag. Die Natur ist praktisch ihr zu Hause und ihr Arbeitsplatz. Über so dusselige Städter wie mich, die zum Melken zu schüchtern sind, kann sie vermutlich nur lachen. Als die große Kanne schließlich bis oben hin voll ist mit frischer Ziegenmilch, die übrigens richtig schäumt wie ein Cappuccino, gehen wir ins Dorfgemeinschaftshaus zum Käse machen.
Die Milch wird zunächst pasteurisiert, indem Fatima sie kurz erhitzt und dann wieder abkühlt. Während die Milch anschließend eine Stunde stockt, gehen wir mit Pedro durchs Dorf spazieren.
Pedro ist vor ein paar Jahren aus der Stadt hierhergekommen. Er ist der Gründer und Chef einer portugiesischen Firma, die Rad- und Wandertouren in der Natur anbietet. Joana Seco, mit der ich vor ein paar Jahren schon eine Radtour nach Nazaré gemacht habe, gehört auch zu seinem Team. Nun lerne ich also ihren Chef kennen.
Als Pedro mit seiner Familie hierherkam, hat er Ferreira de São João sozusagen revolutioniert, indem er die Bauern dazu brachte, das was sie immer tun, nun auch für Besucher zu machen. So wie Fatima heute. Einige waren sofort begeistert dabei, andere Dorfbewohner beäugen seine Ideen noch immer skeptisch. Es geht ja nicht nur darum, den Leuten im Dorf mit einem kleinen zusätzlichen Verdienst zu helfen. Viel wichtiger ist es Pedro, alte Traditionen zu erhalten. Die Arbeit mit Pflanzen und Tieren wertzuschätzen, und das Wissen und die Erfahrungen althergebrachter Techniken und Arbeitsprozesse nicht verloren gehen zu lassen.
Wir gehen in den alten Korkwald. Über zweihundert der alten Korkeichen stehen hier als stumme Zeugen der Zeit versammelt. Vor ein paar Jahren hatte das Dorf mit einer großen Baum-Adoptions-Aktion von sich reden gemacht. Um die Bäume vor dem Verkauf und der Abholzung zu bewahren, versuchte Pedro mit einem Verein möglichst viele der alten Korkeichen zu kaufen. Das war gar nicht so einfach, denn früher gehörten manchen Bauern einer, manchen zwei, und wieder anderen sehr viele der Bäume.
Zu jeder Korkeiche gehört auch der Grund, auf dem sie steht, jedenfalls soweit ihr Schatten reicht. Manchmal war es schwierig herauszufinden, wem nun welcher Baum gehörte. Aber irgendwie fanden sie die Besitzer und brachten mit der Baum-Adoption auch das nötige Geld zusammen, um den kleinen Wald zu retten. Alle neun Jahre werden die Bäume geschält und der Kork geerntet. Die Paten erhalten, wenn sie wollen, die Hälfte des Korks. Der Rest geht an die Assoziation. Die legt mit dem Erlös aus dem Verkauf neue Korkwälder an und pflanzt neue, autochthone Bäume auf der anderen Seite des Dorfes.
Doch 2017 kam es hier beinahe zu einer Katastrophe. Pedro erinnert sich an die schlimmen Geschehnisse des letzten Sommers. Viele Stunden habe er vor seinem Haus mit den Flammen gekämpft, erzählt er. Im Juni 2017 kam es nämlich im Zentrum Portugals zu den schlimmsten Waldbränden, die es hier in der Gegend gegeben hat. Eine schier unglaubliche Katastrophe, bei der viele Menschen starben. Besonders die vielen Eukalyptusbäume, die hier eigentlich gar nicht heimisch sind, brannten wie Zunder. Das Feuer breitete sich rasend schnell aus und war einfach nicht zu stoppen.
Hier brannte letztes Jahr der Wald (bis zu den Korkeichen)
Als das Feuer mitten in der Nacht an einem heißen Sommertag schließlich Ferreira de São João erreichte, brannte es unerbittlich auch die erste Reihe Eichen des Korkwäldchens gnadenlos weg. Doch dann, wie durch ein Wunder, machten die Flammen halt und kamen nicht näher. Das Feuer umkreiste praktisch den kleinen Ort, die Häuser blieben verschont.
Was war passiert? Es war keine göttliche Gnade, sondern es waren die Bäume, die die Dorfbewohner retteten. Vermutlich wussten die Vorfahren genau, was sie taten, als sie die sehr langsam wachsenden Bäume hier am Rande der kleinen Ortschaft pflanzten, und kannten die wichtigsten Eigenschaften des Holzes. Die Korkeichen bringen nämlich nicht nur Kork, sondern sind auch schwer brennbar! Hier in dem kleinen Korkwäldchen half dann auch der weite Abstand zwischen den einzelnen Bäumen, wo es nur Steine, nichts Brennbares gibt, dass sich das Feuer nicht weiterfressen konnte.
Spätestens in dieser Nacht waren auch die letzten Skeptiker von der Notwendigkeit überzeugt, die schnell wachsenden Eukalyptusbäume durch langsam wachsende, einheimische Sorten zu ersetzen. So eine Katastrophe will man hier nie wieder erleben.
Nach unserem Rundgang durch Ferreira de São João kehren wir zu Fatima und der mittlerweile gestockten Ziegenmilch zurück. Fatima ist gerade dabei der kleinen Maria zu zeigen, wie man nun den ausgeflockten Teil der Milch-Käse-Masse ganz langsam und behutsam vom wässrigen Teil trennt. Gemeinsam formen die beiden nun die runden Käselaibe.
Der Käse wird noch gesalzen, dann muss er ein paar Tage trocknen und reifen. Weil ich ihn natürlich unbedingt probieren will, packt Fatima mir einen schon fertigen Ziegenkäse ein – für zu Hause. Dann fahren wir in ein Restaurant in der Nähe, das Varanda do Casal. Hungrig machen wir uns über die leckeren, traditionellen Gerichte her. Und dann ist es schon wieder Zeit für den Abschied. Draußen wartet das Taxi zum Flughafen …
Infos zu den Ziegen und Ferraria de São João
Ferraria de São João de São João gehört wie Cerdeira zu den Schieferdörfern: www.aldeiasdoxisto.pt
Nachhaltiger Tourismus:
Pedro Pedrosa hat es sich zur Aufgabe gemacht, das traditionelle Landleben in den Schieferdörfern zu erhalten und es gleichzeitig zu modernisieren. Nachhaltiger Tourismus ist einer der Schritte auf diesem Weg. Außer den Käse- und Brotbackkursen, die Pedro organisiert, um die Leute im Dorf und die Besucher zusammenzubringen, vermietet er auch nette kleine Unterkünfte. Über seine Firma A2Z vermittelt er Wanderungen und Radtouren in ganz Portugal.
Restaurant Varanda do Casal
Casal de Sa Simao Aguda
Figuero dos Vinhos
www.varandadocasal.com
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Pressereise. Vielen Dank an das wundervolle Team des Cerdeira Village! Die hier durchklingende Begeisterung beruht einzig und allein auf meiner ganz persönlichen und privaten Faszination für diesen wundervollen Ort!
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