Gleich vorweg muss ich Euch warnen. Ich habe mich in dem Kloster von Fontevraud voll in einer aufregenden Familiengeschichte verrannt. Game of Thrones ist nichts dagegen. Wenn Du ein Geschichts-Freak bist, dann ist das hier genau richtig für Dich. Wenn Du Richard Löwenherz eher langweilig findest, dann warte lieber auf einen anderen Artikel.   

Die Abtei Fontevraud ist eng verknüpft mit der Geschichte der Dynastie der Familie Anjou-Plantagenêt, eine Geschichte, wie aus einem Fantasyfilm: von Macht und Liebe, von schönen Frauen und Ränkeschmieden. Die Plantagenêts lieferten Stoff für Sagen und Legenden.

abbaye fontevraud kirche

Das Kloster ist gleich in mehrfacher Hinsicht besonders. Die erste Besonderheit Fontevrauds ist seine enorme Größe. Die Anlage der „Abbaye Royale“ bestand genau genommen aus vier Klöstern: dem Frauenkloster Saint Marie für die Nonnen aus adeligen Stand und edle Jungfrauen, Marie Madeleine für Witwen und ehemalige Prostituierte, dem kleinen Kloster Saint-Lazare, das gleichzeitig als Hospiz diente, in dem Lepra-Kranke gepflegt wurden, und schließlich dem Kloster Saint Jean für die Mönche. Mit seinen vierzehn Hektar war Fontevraud damit eine kleine Stadt und das größte Kloster ganz Europas.

Die zweite Besonderheit ist, dass Fontevraud ein „gemischtes“ Kloster war. Zur Zeit seiner Gründung, um das Jahr 1100 herum, war es sehr ungewöhnlich Männer und Frauen in einem einzigen Klosterkomplex unterzubringen. Selbstverständlich lebten Nonnen und Mönche in getrennten Gebäuden, aber immerhin wohnten sie in derselben Anlage, in Armut, in absoluter Stille und Abstinenz. Während die Nonnen sich ausschließlich dem Gebet widmeten, erledigten die Mönche alle im Kloster anfallenden, körperlichen Arbeiten.

Ganz besonders ungewöhnlich war die Tatsache, dass diesem bedeutenden geistlichen Komplex immer eine Frau als Äbtissin vorstand. Die Entscheidung, eine Frau an die Spitze des Klosters zu stellen, wird offenbar mit den letzten Worten, die Jesus am Kreuz gesprochen haben soll, begründet. Zu Maria, seiner Mutter, soll er auf Johannes weisend gesagt haben „Er ist jetzt dein Sohn“, und zu Johannes gewandt auf Maria zeigend „Dies ist von nun an deine Mutter“ oder so ähnlich. Mit diesen Worten stellte er Maria sozusagen als Mutter über seine Jünger und eben diese Vorrangstellung galt auch hier im Kloster.

kirche fontevraud

Mit Susi, meinem Guide, geht es zunächst in die größte Kirche der Klosteranlage, eine riesige, sehr hohe und auffallend helle Halle. Dass es hier so hell und freundlich ist, liegt zum großen Teil an dem Tuffstein, aus dem das Gotteshaus, wie die meisten Gebäude der Gegend, gebaut wurde. Aus Buntglasfenstern im oberen Drittel der Kirche dringt noch zusätzliches Licht in den Raum.

Susi erklärt, dass das, was wir heute sehen, zum größten Teil restauriert ist. Seit den Zeiten Napoleons wurde das Kloster nämlich als Gefängnis genutzt – und das sogar bis 1963. Um den Raum besser zu nutzen, hatte man vier Zwischendecken eingezogen und die Kuppeln entfernt. Fast 150 Jahre lang arbeiteten hier Strafgefangene in den eingerichteten Werkstätten. Zum Glück wurde man sich im neunzehnten Jahrhundert aber der Bedeutung bestimmter Kulturdenkmäler bewusst und begann schon früh mit Restaurierungsarbeiten. Die ersten Arbeiten begannen sogar schon, während hier noch Gefangene untergebracht waren.

Ursprünglich waren die Wände der Kirche nicht schlicht weiß, wie heute, sondern bunt bemalt. Vermutet man jedenfalls. Da viele Leute nicht Lesen und Schreiben konnten und ein Teil der Kapelle zu den Gottesdiensten auch für Nichtgeistliche zugänglich war, wurden biblischen Szenen eben anhand von bunten Bildern erklärt. So konnte man auch Analphabeten die wichtigsten Regeln und Geschichten der Bibel vermitteln und erzielte gleichzeitig eine sehr beeindruckende Wirkung auf die andächtigen Besucher.

Fontevraud Kloster Kirche

Ungefähr in der Mitte des Saals stehen, etwas verloren wirkend, vier bunte Sarkophagdeckel. Die Farben sind zwar schon leicht verblasst, aber man kann die verschiedenen Farben noch deutlich erkennen. Die Särge müssen sehr prächtig und bunt gewesen sein. Susi erklärt ausführlich, wer da vor uns liegt. Es sind die Sargplatten der Grabmäler einiger der wichtigsten Persönlichkeiten der Herrscherdynastie des Anjou. Hier ruhen Eleonore von Aquitanien, ihr Mann Heinrich II, ihr Sohn Richard Löwenherz und Isabella von Angoulême, die Frau des jüngsten Sohnes Johann Ohneland und Schwägerin des berühmten Richard.

Zwischen dem Kloster und dem Haus der Grafen Anjou-Plantagenêt, einem der wichtigsten und mächtigsten Königshäuser des Mittelalters, bestand eine enge Beziehung. Eine der  Äbtissinnen Fontevraud war eine geborene Plantagenêt, Eleonore von Aquitanien und Isabella von Angoulême lebten im Alter hier und die Anjou-Plantagenêts sponsorten das Kloster immer wieder.

Dynastie Anjou-Plantagenêt

Der Name Plantagenêt ist eigentlich ein Beiname, der für die Dynastie dieser mächtigen Familie benutzt wird. Plantagenêt bedeutet übersetzt nämlich Ginsterzweig und wird einer Legende nach darauf zurückgeführt, dass Gottfried Plantagenêt, der Vater Heinrichs II, stets etwas Ginster an seinem Hut trug, wenn er von der Jagd zurückkehrte. Die Plantagenêts waren eine Zeit lang nicht nur Grafen von Anjou, sondern auch die Könige von England. Und das zu einer Zeit als der König von „Frankreich“ lediglich über ein Territorium, nur wenig größer als die Stadt Paris, regierte. Diese Grabstelle vereint also einige der mächtigsten Persönlichkeiten ihrer Zeit. Susi erklärt uns ausführlich die spannende Familiengeschichte der Anjous und wie es kommt, dass sie hier begraben wurden.

Eleonor Fontevraud

Eleonore von Aquitanien (1122 1204):

Eleonore war eine der bedeutendsten Frauen des Mittelalters. Sie war gebildet, selbstbewusst und stammte aus der Dynastie der Herzöge von Aquitanien. In erster Ehe war sie mit Ludwig VII, dem König des damals noch eher kleinen Königreichs Frankreich, verheiratet. Da aus dieser ersten Ehe „nur“ zwei Töchter hervorgegangen waren, wurde die Verbindung annulliert, und Eleonore konnte in zweiter Ehe Heinrich, den elf Jahre jüngeren Sohn des Herzogs von Anjou und der Normandie und Thronfolger der englischen Krone, heiraten. Eleonore wird zur Königin von England gekrönt, Heinrich wird Henry II Curtmantle, König von England.

Im Alter zieht sich Eleonore ins Kloster Fontevraud zurück, und lässt sich hier beisetzen, als sie mit beachtlichen 82 Jahren stirbt. Das liegende Abbild auf dem Grabmal stellt Eleonore idealisiert als junge Frau dar. Das war damals so üblich. Die Verstorbenen wurden oft im Alter von 33 Jahren verewigt, dem Alter Christus. Oder einfach, weil es besser für die Nachwelt aussah, als das Abbild einer greisen Frau oder eines greisen Mannes. Das Besondere an Eleonores Grabmal ist, dass sie mit einem Buch dargestellt wird. Und das auch noch als Frau. Das unterstreicht noch einmal ihre Bildung, ihre Macht und ihre Stellung zu Lebzeiten.

Henry II – Henry Plantagenêt (1133 – 1189):

Heinrich II. beherrschte im Mittelalter eines der größten Reiche ganz Europas. Zu seinem Herrschaftsgebiet zählten der gesamte westliche Teil des heutigen Frankreichs, hinunter bis zu den Pyrenäen, England und zeitweise auch Wales, Schottland und der Osten Irlands. Das Angevinische Reich der Plantagenets zählte zu den bedeutendsten Mächten dieser Zeit, und das, obwohl das Stammgebiet Anjou nach wie vor eine Grafschaft des Königs von Frankreich war.

Unter dem jüngsten Sohn Jean Plantagenêt, Johann Ohneland, zerfiel dieses große Reich jedoch wieder. Sämtliche Gebiete auf dem Boden des heutigen Frankreichs fielen an den französischen König, der sein Reich mit diesem Zugewinn sehr profitabel vergrößern konnte.

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Richard Löwenherz – Richard Plantagenêt, Coeur de Lion (1157 – 1199):

Richard Lionheart, Richard Löwenherz, war einer der wohl legendärsten Könige von England. Der stattliche Monarch, Sohn Heinrichs und Eleonores, ein Hüne von immerhin 1,86 m Größe, war ein sehr gebildeter, mutiger, aber auch aufbrausender und manchmal sogar grausamer Herrscher. Seine Lebensgeschichte ist heute untrennbar mit der Artussage verwoben.

Da das Wetter in England Richard nicht sonderlich zusagte und er seine Zeit lieber in den französischen Gebieten des Reichs verbrachte, munkelt man, er habe nicht einmal Englisch gesprochen. Dafür parlierte er offenbar aber fließend Latein, Französisch und Langue d’Oc, die okzitanische Sprache im Süden des heutigen Frankreichs.

Mit nur fünfzehn Jahren erkämpft sich Richard den Thron von seinem Vater Heinrich II. Ein Familiendrama, das den ganzen Westen Europas betrifft. Shakespeare lässt grüßen! Als er in Westminster zum König von England gekrönt wurde, war er einer der mächtigsten Herrscher Europas. Schon bald will Richard dann auch auf Kreuzzug gehen. Das war einerseits eine Mode der Herrscher damals, andererseits gab es auch Theorien, die besagen er sei von den Geschichten der spanischen Reconquista beeindruckt gewesen. Jedenfalls zieht er los, hat unterwegs zahlreiche Liebesabenteuer, sowohl mit dem schönen, als wohl auch mit dem eigenen Geschlecht, und heiratet unerwartet, ganz nebenbei auf Zypern. Seine Braut ist Berenguera de Navarra, eine Enkeltochter des Grafen Ramon Berenguer III. von Barcelona. Ein Affront gegen seinen Feind, den fränzösischen König, mit dessen Tochter Alice Richard bereits im Alter von zwölf Jahren verlobt worden war.

Trotz zahlreicher Siege endet der Kreuzzug gegen den Sultan Saladin in Jerusalem in einem Tohuwaboh. Richard macht sich mit seinen Truppen auf den Rückzug und nimmt den Weg über Österreich, wo er als Geisel gefangen genommen wird. Wieder gibt es dramatische Ränkeschmiede. Richard reist schließlich nach England und erobert Nottingham von seinem Bruder Johann Ohneland zurück. Der Stoff für die Geschichten des Robin Hood. Richard spielt eine der Hauptrollen im europäischen Spiel der Mächtigen.

Alles läuft so weit gut, bis der legendäre König von England bei einer eher lächerlichen Belagerung einer Festung in Aquitanien von dem Pfeil einer Armbrust getroffen wird. Richard war leichtsinnig geworden und hatte seine Rüstung nicht angelegt. Oder nur teilweise, so genau weiß man das nicht. Jedenfalls verursacht dieser eine Pfeil, eine schwere Entzündung. Kurz darauf stirbt Richard an Wundbrand. Da er mit seiner Frau Berenguera von Navarra nicht zusammenlebte und keine Nachkommen gezeugt hat, fällt der Thron nun doch an seinen Bruder Johann, das schwarze Schaf der Familie.

Sein Herz lässt Richard in der Kathedrale von Rouen beisetzen (wo es einige Zeit als verschollen galt). Vielleicht um sich im Tod mit seinem Vater zu versöhnen, lässt er seinen Körper ebenfalls in Fontevraud begraben.

Fontevraud plantagenet Isabella Grabmal

Isabella von Angoulême (1188 – 1246):

Isabella war ein ungewöhnlich hübsches junges Mädchen. Schon als Kind verlobte man sie mit einem zwanzig Jahre älteren, adeligen Herrn. Johann Ohneland, der kleine Bruder von Richard Löwenherz, der später als John Lackland König von England wird, verliebt sich unsterblich in die schöne Maid und lässt seine erste Ehe mit Isabel of Gloucester annullieren, um Isabella zu heiraten. Da diese offiziell ja schon mit dem älteren Grafen verlobt ist, verwundert es nicht weiter, dass eine unschöne Fehde zwischen Johann und der Adelsfamilie des um seine Braut betrogenen Verlobten, entbrennt.

Der französische König, einer der erbittertsten Gegner der Plantagenêts, schlägt sich natürlich auf die Seite der Adeligen. Es kommt zu jahrelangen Kämpfen zwischen dem König von England und dem König von Frankreich. Johann verliert das Stammland der Plantagenêts, das Angevinische Reich, und muss sich nach England zurückziehen, wo er in Newark an Durchfall stirbt. Den Thronschatz verliert er auch noch. Da das Territorium, auf dem sich die Abtei Fontevraud befindet, nun nicht mehr zu seinem Reich gehört, muss sich Johann in der Kathedrale von Worcester beisetzen lassen.

Isabella kehrt nach Johanns unrühmlichem Tod nach Angoulême zurück und heiratet den Sohn ihres ehemaligen Verlobten, der mehr ihrem Alter entsprach – obwohl der eigentlich mit ihrer ältesten Tochter aus der Ehe mit Johann verlobt gewesen war. Immerhin bekamen die beiden noch neuen Kinder zusammen. Doch Isabella tat sich für den Rest ihres Lebens wohl schwer damit, von einer Königin wieder auf den Status einer Gräfin herabgerutscht zu sein und hielt weiterhin Hof wie eine Herrscherin. Irgendwann zieht sie sich dann ins Kloster Fontevraud zurück, wo sie, keine sechzig Jahre alt, stirbt. Ihr Sarkophag ist im Gegensatz zu den anderen nur aus Holz, nicht aus Stein.

Abbaye Fontevraud

Nach diesem aufregenden Ausflug in die Familiengeschichte der Plantagenêts sehen wir uns die anderen Gebäude der Abbaye an. Direkt neben der Kirche liegt der stille Kreuzgang. In der Mitte befinden sich labyrinthartige Beete, allerdings ohne Früchte oder Blumen. Nur grüne Büsche gibt es hier. Susi erklärt, dass diese Art von Garten eine Art Paradies darstellen soll. Da Eva Adam bekanntlicherweise mit dem Paradiesapfel verführte, sollen die Nonnen im Kloster durch absolut gar nichts von ihren Gebeten abgelenkt werden. Nicht einmal durch eine Blume.

Fontevraud Abbaye Kreuzgang
Kreuzgang Abbaye Fontevraud

Die Wände des Kapitelsaals sind reich mit Wandmalereien geschmückt. Diverse Äbtissinnen haben sich hier in den biblischen Szenen der Gemälde verewigen lassen. Von wegen „klösterliche Bescheidenheit“, aber gut. Dann besuchen wir den großen Speisesaal. Von Susi erfahren wir, dass die Nonnen hier mit dem Gesicht zur Wand gegessen haben. Aber die Mahlzeiten waren auch nicht gerade eine Ablenkung im kargen Alltag der Nonnen. Beim Essen wurde kein Wort gesprochen. Nur Bibellesungen durften das Klappern der Löffel begleiten.

Fontevraud Kapitelsaal Kloster
abbaye fontevraud kloster
Refektorium Abbaye fontevraud

Vom Speiseaal aus geht es wieder nach draußen. Dort steht ein lustiges, achteckiges Gebäude mit unerwartet originellen Türmchen auf dem Dach. Lange Zeit rätsele man, welchem Zweck dieses Gebäude einmal gedient haben könnte. Irgendwann fand man dann heraus, dass es sich um eine romanische Küche gehandelt haben muss. Das Gebäude wurde aus Stein gebaut, als viele anderer Gebäude noch aus Holz errichtet wurden. Es hatte diverse Rauchabzüge und stand einzeln. Falls hier ein Feuer ausbrechen sollte, war man also relativ geschützt, denn die Flammen konnten nicht auf angrenzende Bauten übergreifen. Und natürlich die Lage, direkt hinter dem Speisesaal und in der Nähe der Vorratskammern, sprach für diese Theorie. Viel mehr weiß man aber leider bis heute nicht über diese romanische Küche. Ein kleines Mysterium.

Fontevraud romanische Küche

Restaurant blick Kreuzgang Hotel fontevraud

Ganz zum Schluss statte ich dem ehemaligen Lepra-Hospiz noch einen Besuch ab. St. Lazarus war das kleinste der Klöster innerhalb der großen Anlage Fontevrauds und wurde ebenfalls lange Zeit als Gefängnis genutzt. Heute ist hier ein sehr schickes, elegantes Hotel untergebracht. In dem fast schon winzig kleinen Kreuzgang befindet sich das Restaurant. Während die Gäste an den Tischen dinieren, können sie einen Blick auf den kleinen Kräutergarten im Innenhof werfen, in dem gerade eine Kunstausstellung aufgebaut wird. Der spannendste Teil des Hotels ist sicherlich die ehemalige Kapelle, heute eine I-Bar, mit neusten Spielereien à la iPhone.

Hotel abbaye Fontevraud

Fontevraud Dorf vor dem Kloster
Der kleine Platz des Dorfs, vor der der Abbaye Royale de Fontevraud

Nützliche Infos Fontevraud

Adresse:
Abtei Fontevrault
49590 Fontevraud-l’Abbaye, Frankreich
Website: http://www.fontevraud.fr/

geöffnet: 9.30 Uhr – 18 Uhr (im  Sommer) oder 19 Uhr (im Winter)
Eintritt: 11 Euro, Kinder 7, 50 Euro

Hinweis: Meine Reise entlang der Loire wurde von Atout France unterstützt. Vielen Dank an Susi, für die spannenden Geschichten! Die hier dargestellte Meinung spiegelt selbstverständlich ausschließlich meine eigenen Ansichten und Erlebnisse wieder.