Nur über verschlungene Wege erreiche ich am späten Nachmittag das kleine Dörfchen La Poble de Cérvoles. Zwischen den Bergen und Tälern der Garrigues liegt die kleine Hundertseelengemeinde irgendwo, ganz versteckt in einer rauen, trockenen Landschaft.
Anton betreibt hier ein kleines Gästehaus, in dem ich heute übernachten werde. Er ist es auch, der mich durch das Dorf führt und zum Weingut Mas Blanch i Jové begleitet. Die Weine des noch ziemlich jungen Betriebs gehören zur D.O. Costers del Segre. Anton zeigt mit dem Finger Richtung Südosten: „Hinter dem Berg geht es nach Tarragona. Dort beginnen die Weinanbaugebiete des Priorat und des Montsant.“
D.O. Costers del Segre
Die Trauben wachsen hier oben in einem besonderen Klima. Relativ weit vom Mittelmeer entfernt, das irgendwo hinter den Hügeln liegen muss, bestimmt das bergige Klima den Reifungsprozess. In 200 bis 400 m Höhe liegen die meisten der Weinstöcke. Zu den Pyrenäen ist es nicht mehr weit. Es ist heiß und regnet wenig in den Bergen. Der kalkhaltige Boden ist nur mit einer dünnen Sandschicht überlagert. Durch den großen Unterschied von Tages- und Nachttemperaturen reifen die Trauben hier langsamer und werden später geerntet, als die, der nur etwas weiter südlich liegenden Weinstöcke des Priorat.
Diese spezielle Lage im Inland und die besonderen klimatischen Bedingungen sorgen für den typischen Charakter der Weine aus der Anbauregion. Costers del Segre sind intensive Weine, in denen man die Landschaft förmlich schmeckt.
Mas Blanch i Jové
Der Cellar Mas Blanch i Jové ist eines der Weingüter des Costers del Segre. Joan Jové i Sara Blanch stammen eigentlich aus Barcelona. Sie kamen eher zufällig vorbei, verliebten sich in die Landschaft und blieben hier.
2006 wurde der Cellar Mas Blanch i Jové, ein reiner Familienbetrieb, ins Leben gerufen. Die Philosophie des noch jungen Weinguts war von Anfang an klar. Ökologisch und nachhaltig sollte der Wein angebaut werden. Die Erde, die Landschaft, die das Weingut umgibt, das alles sollte sich im Wein wiederfinden lassen. Saó nennen sie daher auch das Ergebnis ihrer Arbeit. Saó ist ein katalanisches Wort, das sowohl „Reife“ als auch eine ganz bestimmte Bodenfeuchtigkeit bezeichnet.
Gemeinsam mit Anton betrete ich das steinerne Gebäude, das sich auf einem kleinen Hügel mit Blick auf die Weinstöcke erhebt. Der ockerfarbene Weinkeller schmiegt sich an die Umgebung an. Mit Erde und Steinen bedeckt, trägt er sogar ein Dach aus Gras.
Kunst in der Bodega
Bei unserem kleinen Rundgang durch die Abfüllungshalle bin ich zum ersten Mal überrascht. Zwischen den Paletten mit abgefüllten Weinflaschen und den riesigen Edelstahlbehältern, in denen der Traubensaft gärt, stoße ich immer wieder auf die verschiedensten Kunstwerke.
Wie wohl kein zweiter Betrieb hat sich der Cellar Mas Blanch i Jové der Kunst verschrieben. Inspiriert durch die Freundschaft mit dem katalanischen Künstler Guinovart entstand die Idee, Wein und Kunst miteinander zu verbinden. Josep Guinovart gehörte, ebenso wie Joan Miró und Antonio Tàpies, einer katalanischen Avantgardebewegung an, die sich Mitte des letzten Jahrhunderts als Gegenstück zur offiziellen Staatskunst des Franco-Regimes etablierte. Ende der vierziger Jahre gründeten sie die Gruppe Dau al Set.
An einer Seite der Halle stehe ich plötzlich vor einem riesigen Kopf, der sich aus vielen dünnen Holzscheiben zusammensetzt und aus der Wand herauszuragen scheint. Über einem Stapel Paletten schweben Blumen und Wolken scheinbar schwerelos in der Luft, weit über mir. Durch die besondere Beleuchtung wechseln die Schatten, die sie an die Wand werfen, als erzählten sie eine Geschichte. Dazu erklingt auch noch leise Musik von irgendwo her.
Aber richtig staunen muss ich, als ich den eigentlichen Weinkeller betrete, in dem die Holzfässer lagern. Ein überdimensionales, abstraktes Wandgemälde bedeckt die Wände. Zwischen den Fässern erheben sich Skulpturen und Bilder.
Der Autor des imposanten Wandgemäldes ist die Natur selbst, erfahre ich. Zwischen Himmel und Erde hat Gregorio Iglesias dieses Werk genannt, das auf der Erde zwischen den Weinreben entstanden ist. Viele Monate lang bemalte die Natur die Leinwände. Regen, Schnee, Sonnenschein, Erde, Tiere und Menschen haben sich darauf verewigt. Mit chinesischer Tinte vervollständigte Iglesias das abstrakte Gemälde der Natur. Dieses Wandbild passt einfach perfekt zu diesem Weinkeller. Es sieht fantastisch aus.
Der Wein
Im Anschluss an den Rundgang darf ich den einen und auch den anderen Schluck der verschiedenen Saó Weine probieren. Es gibt einen Saó Blanc, einen Saó Rosat und den roten Saó Petit. Besonders intensiv schmeckt der Saó Expressiu. Daher sicher auch der Name. Ein schwerer, sehr komplexer Wein, reif und dunkel wie ein Stück roter Samt.
Die Philosophie, dass jede ihrer Flaschen Wein ein kleines Kunstwerk sei, nehmen sie hier sogar wörtlich. Jeder Künstler, der eines seiner Werke zwischen den Weinreben aufstellt, darf auch das Etikett der Magnumflaschen des jeweiligen Jahrgangs entwerfen. Echte Sammlerstücke sind das. Mir gefällt die Flasche, deren Etikett aus einem weiß gefärbten Blatt besteht, besonders gut!
Die Weinprobe findet in einem Raum oberhalb der Hallen und Lager statt. Durch ein weit gewölbtes Fenster kann ich das Dorf weit hinten erkennen. An einer Wand hängt ein besonderes Gemälde. Es ist ein Wandbild Josep Guinovarts, das er extra für Sara und Joan gemacht hat. Eigentlich sollte es ein Geschenk zur Einweihung des Gebäudes werden, aber die hat der Künstler selbst leider nicht mehr erlebt. Geblieben ist sein Werk aus bunten, warmen Farben und dem Holz der Weinstöcke.
Als es gegen sieben Uhr am Abend langsam nicht mehr so heiß draußen ist, und schon fast beginnt, dunkel zu werden, macht Anton mit mir noch einen kleinen Spaziergang. Wir laufen durch die Weinstöcke, um die abstrakten Werke, die elf verschiedene Künstler hier hinterlassen haben, anzusehen. Langsam bin ich mir nicht mehr sicher, ist das hier ein Weinkeller, in dem Kunstwerke ausgestellt werden oder ein Kunstmuseum in dem Wein hergestellt wird?
Infos zum Weingut Mas Blanch i Jové:
Pol. 9 Parc. 129
Paratge Llinar
25471 La Pobla de Cérvoles / Lleida
Website: www.masblanchijove.com
übernachtet habe ich im Gästehaus Cal Pastor:
Agroturisme Cal Pastor
Anton i Carme
c/. de les Roques, 7
25471 – La Pobla de Cérvoles
Les Garrigues / Lleida
Website: www.calpastor.cat
Mein Besuch des Weinguts fand im Rahmen eines Blogtrips durch die Region Lleida statt.
Liebe Nicole, einmal mehr bin ich versunken in deinen Beschreibungen, man ruecht, sieht und fühlt förmlich die Umgebung und Atmosphäre ders Weinguts und der Hänge…daaanke 🙂
Schön! 🙂 Danke Claudia!
Liebe Grüße!