Lisa Fittko war eine in Budapest und Wien aufgewachsene Jüdin, die zu Beginn der 30er Jahre vor der Nazi-Herrschaft ins Ausland floh. Ihr Weg führte sie über Tschechien, die Schweiz und die Niederlande nach Frankreich, wo sie mehrere Jahre lebte und mit anderen Exil-Deutschen, die gegen Hitlers Regime Widerstand leisteten, zusammentraf.

Lisa Fittko Mein Weg über die Pyrenäen

In ihrem Buch “Mein Weg über die Pyrenäen” geht es vorwiegend um die Zeit nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Paris. Viele Emigranten und Widerständler hatten sich nach einer Odysee durch verschiedene Länder in der französischen Hauptstadt wiedergefunden. Aber sie mussten erneut ihre Koffer packen, weil die Deutschen es schließlich doch schafften, die unüberwindbar geglaubte Maginot-Linie zu überqueren und bald schon vor den Toren Paris standen. Lisa Fittko wurde in das Konzentrationslager Gurs im Süden Frankreichs gebracht. Von diesem Lager ist heute nur noch ein stiller Wald übrig geblieben. Gedenktafeln mahnen still und erinnern an die Vergangenheit. Eindringlich schildert die Schriftstellerin einerseits die unmenschlichen Zustände in Gurs, andererseits aber auch die unterschiedlichen Taktiken, die den Frauen und Männer halfen, zu überleben.

camp de Gurs Erinnerungen Lisa Fittko
Vor einiger Zeit war ich in Gurs, um dort den Spuren der Flüchtlinge des Spanischen Bürgerkrieges nachzugehen. Zuvor hatte ich mir bereits die Hütten von Rivesaltes mit einer beeindruckenden Gedenkstätte, die Maternitat d’Elna, den Strand von Argèles-sur-Mer und das kleine Dokumentationszentrum im Stadtzentrum angesehen. Es ist nur schwer vorstellbar, welche menschlichen Dramen sich vor nicht einmal hundert Jahren in dieser heute so friedliche, ruhige Gegend abgespielt haben.

Gurs Lager Frankreich

Es scheint mir manchmal unbegreiflich, wie schnell wir Menschen vergessen und verdrängen können. Nicht einmal ein Jahrhundert ist seit den Greueltaten des Zweiten Weltkriegs (und des Spanischen Bürgerkriegs) vergangen, und schon sprießt an allen Ecken und Enden unserer Weltgesellschaft wieder nationalistisches Gedankengut aus verborgenen Untiefen hervor. Jedes Land will wieder groß und bedeutend sein und einen Platz in der ersten Reihe einnehmen, der ihm aus – wie auch immer zusammengebastelten – historischen Gründen zustehe. Jeder will die erste Geige spielen. Der Grund und der eigentliche Sinn internationaler Zusammenarbeit scheint bei Vielen schon wieder in Vergessenheit geraten.

Doch zurück zum Buch. Lisa Fittko landet auf ihrer mehrjährigen Flucht schließlich in Banyuls-sur-Mer, wo sie es schafft, mehrere aus Deutschland geflohene Menschen über die spanische Grenze zu schmuggeln. Einer der ersten, den sie auf dem steinigen Weg durch die Pyrenäen begleitet, ist der Philosoph Walter Benjamin.

Bucht hotel des elmes banyuls-sur-merBanyuls sur Mer

Bislang kannte ich Benjamins Geschichte nur aus Portbou. Ein Mann, der sich am Ende seiner Kräfte über die Grenze schleppt und dort allein in seinem Hotel verzweifelt, als die spanische Polizei ihn nicht nach Portugal weiterreisen lässt. Weil Benjamin von Francos Schergen die Auslieferung in das nationalsozialistisch beherrschte Deutschland fürchtet, nimmt er sich das Leben. Von Lisa Fittko erfahre ich nun, wie dieser Mann seine letzten Tage erlebte und warum er glaubte, nicht mehr die Kraft für einen Ausweg zu haben.

Außer Benjamin gelang es Lisa Fittko und ihrem Mann noch viele andere Menschen aus dem besetzten Frankreich herauszuschmuggeln. Beim Lesen scheint es heute eigenartig, wie sich manche der Fliehenden an den letzten Besitz klammerten. Aus unserem sicheren und komfortablen Leben heraus ist es einfach zu sagen, wann man loslassen muss und wie unbedeutend ein Mantel sein sollte, wenn es um das reine Überleben geht. Doch wenn jemand schon alles verloren hat, liegen die Gründe sich an ein Stück Stoff zu klammern, nicht nur bei dem materiellen Wert eines Mantels.

portbouWalter Benjamin – Gedenkstätte in Portbou (und Blick nach Frankreich)

Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, wie sich das Leben auf einer solchen Flucht anfühlt. Wie es sein muss, ständig auf der Hut zu sein, nichts zu besitzen, als das, was man am Leib trägt, sich ständig an neue Situationen und neue Menschen anzupassen. Man muss sehr erfinderisch, flexibel, optimistisch und stark sein, um in einer solchen Lage auch noch anderen Menschen helfen zu können. Leider berichtet Lisa Fittko in ihrer Geschichte auch von Personen, die, wenn es darauf ankommt, rücksichtslos das Leben anderer gefährden und einzig und allein daran interessiert sind, sich selbst zu helfen. Ich versuche mich an den positiven Beispielen von Menschen festzuhalten, die in solchen Notlagen über sich selbst hinauswachsen, die Charakter und Größe zeigen.

Nur wenige Menschen haben diese Zeit überlebt und konnten hinterher ihre Geschichte erzählen. Viele derer, die es endlich schafften, verschlossen aber auch die Geschehnisse von damals so fest und tief irgendwo in ihrem Inneren, weil es zu schrecklich war, was sie gesehen und erfahren hatten.

Lisa Fittkos Buch:

Titel: Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41
erschienen im Oktober 2004 als Taschenbuch (7. Edition)
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
ISBN-13: ‎ 978-3423621892

Lisa Fittko gelang die Flucht, zunächst nach Kuba, von wo sie später in die USA zog und 2005 in Chigaco starb. Ein interessanter Bericht findet sich im WDR unter „Erlebte Geschichten“ / Interview Lisa Fittko  www1.wdr.de

Camp de Gurs

Lager Gurs

Das Camp de Gurs liegt bei Oloron Saint Marie, einem hübschen Dorf des Béarn, nahe der Pyrenäen. Die Gedenkstätte ist frei zugänglich und kostet keinen Eintritt. Auf der Website findet man die wenigen Informationen zur Geschichte des Lagers Gurs : campgurs.com Laut Lisa Fittkos Aufzeichnungen, muss auch Hannah Arendt hier interniert gewesen sein. Wir waren vor ein paar Jahren in Gurs, weil ich mich gerade intensiv mit der Geschichte des Exodus im Spanischen Bürgerkrieg beschäftigt hatte. Viele der Lager, in denen die republikanischen Flüchtige, die sich vor Francos Truppen in Sicherheit zu bringen hofften,  „untergebracht“ wurden, dienten kurze Zeit später der Internierung aus dem Norden flüchtender Menschen, die verzweifelt versuchten, Hitlers Verfolgung zu entgehen. Wenn Dich das Thema interessiert, kannst Du in meinen Berichte über Rivesaltes, Argelès und Elna noch mehr Eindrücke und Informationen über diese Zeit finden. In La Jonquera gibt es ein sehr gutes Museum, das Museu de l’Exili: www.museuexili.cat

rivesaltes memorialCamp Rivesaltes

gedenkstein la retirada argelès sur mer lager  Camp d’Argèles

Der Grund, warum ich dieses Buch gerade jetzt lese und hier darüber berichte ist, dass es einen Wanderweg gibt, den ehemaligen Fluchtweg Walter Benjamins, den ich gern demnächst einmal laufen möchten. Vor ein paar Jahren hatte ich das schon einmal vor, allerdings kam dann leider etwas dazwischen und so musste ich die Wanderung aufschieben. Ehe Lisa Fittko und ihr Mann Hans diese Route als Fluchtstrecke nutzten, nannte man die Strecke „Route Líster“ , später wurde der Weg die F-Route genannt.