Schreckliche Zustände herrschten in den Auffanglagern für die vielen Bürgerkriegsflüchtlinge im Süden Frankreichs. Ausgehungert, krank und oft nur mit dem Nötigsten bekleidet, waren die Gegner Francos vor den Truppen des Generals geflohen. Die Republikaner hatten den Spanischen Bürgerkrieg verloren. Wer noch irgendwie konnte, versuchte sich über die Grenze nach Frankreich zu retten. Die Situation in den Lagern, in die man die Flüchtlinge steckte, war erbärmlich. Doch es gab auch Menschen, die halfen. In Elne errichtete eine junge schweizer Lehrerin eine Entbindungsklinik für die schwangeren Frauen und ihre Kinder. So konnten die Schwächsten unter den Flüchtlingen wenigstens für eine Weile der Hölle aus Hunger, Kälte und Sand entkommen.

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Elisabeth Eidenbenz hatte während des Spanischen Bürgerkriegs für eine schweizerische Hilfsorganisation gearbeitet. Zurück in Zürich erreichte sie schon bald der Anruf eines Freundes. Der hatte die Konzentrationslager jenseits der Pyrenäen besucht und berichtete von den schlimmen Zuständen in Argelès, Agde, Bram oder Gurs. Da Elisabeth während ihrer Zeit in Valencia Spanisch gelernt hatte, überzeugte er sie schnell “Du wirst hier gebraucht”. Elisabeth fragte nicht lange, sondern machte sich auf den Weg.

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Die Maternité d‘Elne

Das einst elegante Château war schon halb verfallen, als Elisabeth Eidenbenz es entdeckte. Das Gebäude stand lange leer, es tropfte durch die Decke, doch die Lage war gut und es gab ausreichend Platz. Schweizer Hilfsorganisationen spendeten das notwendige Geld für die Renovierung, damit hier eine Entbindungsklinik eingerichtet werden konnte. Und so holte die junge Lehrerin schwangere Frauen und kranke Säuglinge aus den Lagern von Argelès,  oder später auch aus Rivesaltes, damit sie ihre Babys nicht im Sand entbinden mussten. In der Maternité wurden sie ungefähr vier Wochen vor dem Entbindungstermin aufgenommen und konnten dort mit den Neugeborenen bis zu vier Wochen nach der Entbindung bleiben. Hier bekamen sie ausreichend zu essen, hatten saubere Betten und wurden gut versorgt.

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Es war ein Tropfen auf den heißen Stein, doch für die Frauen im Lager war es eine große Hilfe. Den meisten Frauen schien Elne ein kleines Paradies. Dafür den katastrophalen Bedingungen eine Weile entfliehen zu können, etwas Kraft tanken zu können, waren sie unendlich dankbar.

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Eine Insel des Friedens inmitten des Kriegsgewirrs

Fast fünf Jahre lang rettete Elisabeth Eidenbenz in der Maternité unzählige Leben, gab den Frauen ihre Würde zurück und versteckte Menschen in Not, ungeachtet ihrer Religion oder Herkunft. Sie versuchte auch, Familien zumindest eine Zeit lang zusammenzubringen, indem sie für zu erledigende Arbeiten am Haus oder im Garten die Väter der Kinder ausfindig machte und hier beschäftigte.

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Das Leben der vielen Menschen in dem alten Château musste gut organisiert werden. Es gab einen regelrechten Stundenplan für die Versorgung und Pflege der Kinder. Doch die Frauen aus den unterschiedlichen Ländern verstanden sich gut. Auch wenn sie verschiedene Sprachen sprachen, herrschte Solidarität unter ihnen. Man half sich einfach gegenseitig so gut man konnte. Mütter, deren Säuglinge nicht überlebt hatten, gaben ihre Milch bereitwillig anderen Babys, wenn deren Mütter zu schwach waren, um eigene Milch zu produzieren.

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Hatten schwangere Frauen bereits andere Kinder, wenn sie hierherkamen, durften die Kleinen ihre Mütter in die Entbindungsklinik begleiten. Im Lager hätte sich niemand um die Kinder kümmern können, denn die Familien waren getrennt, Männer und Frauen in verschiedenen Lagern untergebracht.

Einige der Frauen blieben nach der Geburt ihrer Kinder in der Entbindungsklinik und konnten dort arbeiten. Doch normalerweise mussten die Frauen wenige Wochen nach der Niederkunft zurück ins Camp. Für die Kleinen war das lebensgefährlich, die Kindersterblichkeit in den Lagern war erschreckend hoch. Damit die völlig unterversorgten Kleinen wieder zu Kräften kommen konnten, nahm die Maternité teilweise auch kranke Säuglinge auf.

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Außer den fast 600 Kindern, die hier zwischen 1939 und 1944 das Licht der Welt erblickten, konnten viele weitere Leben durch die Arbeit der Maternité gerettet werden. Doch 1944 warf die deutsche Gestapo die Schweizer Hilfsorganisation einfach raus. Die Nationalsozialisten wollten das Gebäude mit Strom und Heizung lieber selbst nutzen.

Kurz darauf ging der Krieg zu Ende. Das Château stand von nun an leer und wurde zu einem Abenteuerspielplatz der Kinder und Jugendlichen der Umgebung. Irgendwann fiel ein ganzer Flügel des Gemäuers in sich zusammen.

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Erst als das marode Gebäude in den 90er Jahren verkauft wurde und der neue Besitzer durch Zufall die Geschichte der ehemaligen Entbindungsklinik erfuhr, setzte er alles daran, die Maternité nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. In Spanien, Frankreich, Argentinien, Polen und der Schweiz, überall tauchten plötzlich Elisabeths „Kinder“ auf. Menschen, die hier, in der Maternité suisse in Elne geboren worden waren. Die schweizer Lehrerin war zu diesem Zeitpunkt bereits über 90 Jahre alt, doch sie erlebte noch mit, wie das Gebäude instandgesetzt und 2006 in eine Stätte der Erinnerung umgebaut wurde.

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Infos zur Maternité suisse

Maternité suisse d’Elne
Château d’en Bardou
Route de Montescot
66200 Elne
Website: www.maternitesuissedelne.com

Öffnungszeiten 
„Haute saison“ In der Hauptsaison während der Sommermonate:  täglich von 9.30 bis 12.30 Uhr und von 14 bis 18 Uhr
„Basse saison“  Das restliche Jahr über: Di – So von 9.30 bis 12.30 Uhr und von 14 bis 17 Uhr

Eintritt
für Erwachsene 3,50 Euro, ermäßigter Eintritt 1,50 Euro, Kinder bis 12 Jahre frei

Video Tipps (youtube):
Kulturzeit 3sat  Elisabeth Eidenbenz und die Maternité Suisse in Elne  und France Bleu Un havre de paix au coeur de la guerre 

Mit dem Einmarsch der Deutschen wurden 1940 viele der Flüchtlingslager in Konzentrationslager umfunktioniert. Absurderweise deportierten die Nationalsozialisten einige Juden von Deutschland aus Richtung Westen, um sie hier in Gurs festzuhalten. Von dort brachte man sie dann quer durch Europa in das Vernichtungslager nach Auschwitz. Heute sind die Überreste dieser Lager wichtige Mahnmale, die an die vielen Tausend Menschen, die hier interniert waren, erinnern: Gegner Francos, Juden, Sinti und Roma, Männer, Frauen und Kinder.

Lesetipp:
Mein Frankreich – Hilkes Artikel über das Mémorial de Rivesaltes und La Retirada

Außer den Artikeln zu den Lagern in Argelès und Rivesaltes findest Du hier im Blog auch etwas über den Spanischen Bürgerkrieg und das Museu de l’Exili – La Jonquera

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Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Blogtrips, zu dem ich von Tourisme Occitanie eingeladen wurde.