Die weißen Linien der Trockensteinmauern trennen die bunten Farben säuberlich voneinander. Rot die Erde, grün die Felder und blau der Himmel. Stille Olivenhaine und Wiesen voll mit blühendem Klee fliegen an uns vorbei. Ich sitze im Zug nach Lecce. Die hübschen Gärten und Dörfer wechseln sich mit kleinen Siedlungen in dem weit weniger pittoreskem Schnellbaustil der 70er Jahre ab.

Schon als der Zug im Bahnhof von Poggiardo einläuft, erlebe ich die erste Überraschung. Pünktlich zur geplanten Abfahrtszeit klingelt es laut und durchdringend. Wie auf dem Schulhof damals. Schon fünf Minuten später kommt ein einsamer Waggon angerollt. Ein einzelner Waggon reicht hier aus, um die Menschen von Poggiardo nach Lecce zu bringen. Und wir sind nicht mal voll besetzt. Bei Weitem nicht. Es ist noch  viel Platz in unserem „Zug“.

Mit dem Zug nach Lecce zu fahren, ist ein kleines Abenteuer. Eigentlich sind es nur vierzig Kilometer, aber wir brauchen fast zwei Stunden. Trotzdem würde ich diese kleine Reise jedem empfehlen. Dass der Waggon nicht der neueste ist, macht überhaupt nichts. Er sieht aus wie die zweite Klasse der Bahn in den siebziger Jahren und fühlt sich auch genauso an. Mit alten Vorhängen und Pseudoledersitzen. Immerhin keine Holzbänke. Und wir halten natürlich an jeder Milchkanne. Ob wir umsteigen müssen oder nicht, erfahren wir erst während der Fahrt. Es gilt nämlich weder das, was der Fahrkartenverkäufer am Bahnhof sagt, noch das, was im Internet steht. Auch das Schild am Zug selbst kann unterwegs hinfällig werden.

zug

Es gibt einen Moment, da stehen wir zu viert im Gang. Vier Frauen, außer mir alles Einheimische, und niemand weiß, wer nun aussteigen und wer im Zug bleiben soll. Aber man kann trotz der Verwirrung total entspannt bleiben, denn der Lokführer geht hier durch den „Zug“ und fragt jeden einzelnen Fahrgast, wo er denn hin will. Bei diesem persönlichen Service kann gar nichts schief gehen.

Während ich die plaudernden Lokführer in den kleinen Bahnhöfen beobachte, wie sie aus dem Fenster gelehnt mit den Kollegen quatschen, kommt eine Vermutung auf. Ich glaube ja, dass sie in diesen Momenten die weitere Fahrtroute besprechen. („Wie viele Leute nach Poggiardo hast Du denn? Ich hab 10. Und 5 nach Gallipolli. Und Du?“ „Oh ich hab nur einen. Dann schick mir die 5 rüber und fahr Du nach Poggiardo weiter.“ oder so ähnlich.)

Wer auch immer den Zielbahnhof festlegt, die Fahrt dauert ziemlich lange. Und zwar deswegen, weil wir gefühlt an jedem zweiten Bahnhof auf andere „Züge“ aus der Umgebung warten. Das ist sehr nett und hilfsbereit, denn in manchen Dörfern verkehren nur sehr wenige Züge am Tag. Das wäre schon ziemlich ärgerlich, hier eine Bahn zu verpassen. Aber wir haben keine Eile und rollen ganz entschleunigt in Richtung Lecce. So viel Landschaft für 2, 60 Euro ist ein fairer Preis. Als wir schließlich aussteigen, verabschiedet sich der nette Lokführer auch noch freundlich von uns.


lecce

Mit ihren vielen Kirchen im Zuckerbäcker-Barrock ist Lecce einfach sehr hübsch anzusehen. Wie in feinstes Brautkleid gesteckt, wirken die vielen Kirchen, die hier dicht an dicht gebaut sind. Alle sind aus diesem hellen Stein, der pietra leccese, und jede für sich ist ein Hingucker, selbst wenn man nicht sonderlich an Kirchenbauten interessiert ist. Da ist zum Beispiel die Basilica Santa Croce, die im Mittelalter errichtet wurde, nachdem man die dort wohnenden Juden verjagt hatte, um mehr Raum für die Vergrößerung der Klosterkirche zu haben. Und natürlich die Hauptkirche auf der Piazza del Duomo, deren Seitenportal noch prächtiger ist, als der Haupteingang.

kathedrale lecce

Santa Croce Lecce

Doch seit letztem Sommer kosten die Kirchen in Lecce Eintritt. Mir reicht es, sie von außen anzusehen. Schöner als die in Fresken der Kirche in Galatina oder das Fußbodenmosaik in Otranto, können auch diese barocken Palastbauten nicht sein.

Lecce Kathedrale

Wir bummeln also einfach durch das Centro Storico. Helle Plätze, umgeben von hübschen Bauten wirken durch den typischen beigen Stein, aus dem die ganze Altstadt errichtet ist, angenehm freundlich und warm. Immer wieder kommen wir an kleinen Ateliers vorbei, in denen Heiligenfiguren aus Pappmaschee gefertigt werden. Sie sehen aus, als hätte man sie schon vor über hundert Jahren in Stein gemeißelt. Doch diese Heiligen aus Karton sind weder hart noch schwer. Manche von ihnen sind praktisch noch ganz frisch. Und manchmal kann man sogar dabei zusehen, wie sie gerade entstehen.

pappmaschee lecce

cafe alvise lecce

cafe alvise lecce

Bald kommen wir wieder zu meinem Lieblingsbäcker. Gar nicht weit von dem traditionellen Café Alvise entfernt, ein Klassiker, der scheinbar in jedem Reiseführer steht, liegt die kleine Bäckerei. Dieser winzige Laden mit dem netten Mann, der so leckere Sachen aus Mandeln zaubert, hat es mir schon bei meinem ersten Besuch in Lecce angetan. Natürlich gibt es nicht nur Süßes. Auch die gewürzten Kringel, die Taralli, werden in allen Geschmacksrichtungen und Größen angeboten.

il fornaio pasta di mandorla lecce

il fornaio

Aber dem Schatz und mir haben es nun mal die kleinen Gebäckteile aus Mandeln angetan. Ich lasse mir aus der Theke etwas hiervon und etwas davon einpacken, und schon ist eine große Tüte voll. Auch wenn die nette Bäckersfrau mir versichert, die Dinger würden eine Woche halten, bin ich mir ziemlich sicher, dass sie den morgigen Tag nicht erleben werden. Vor der Tür nasche ich den ersten Mandelkeks. Aber nur einen, der Rest ist für Michi. Das nehme ich mir jedenfalls fest vor und stecke die Tüte entschlossen tief unten, in den Rucksack.

amphitheater Lecce
roemisches amphitheater lecce

Direkt gegenüber des Fornaio liegt das römische Amphitheater. Dieser uralte Zeuge aus Lecces Vergangenheit, ist schon unter Kaiser Augustus errichtet worden. Nur durch Zufall hat man es in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts entdeckt, als dort ein neues pompöses Gebäude der Banca d’Italia entstehen sollte. Ähnlich wie die Arena in Verona oder das Kolosseum in Rom war auch das Amphitheater in Lecce gebaut. Doch der größte Teil dieses archäologischen Fundes musste hier unter der Erde bleiben.

Dafür gibt es nur wenige Ecken weiter gleich noch ein Bauwerk aus der Zeit, als Lecce noch Lupiae hieß und römischen Soldaten durch diese Straßen liefen. Das römische Theater wurde 1929, ebenfalls durch Zufall, mitten zwischen den Palästen der Altstadt entdeckt.

teatro romano lecce

Auf einem der kleinen Plätze stehe ich plötzlich vor ein paar Palmen, die so hoch wachsen, dass ihre Stämme wie unendliche Säulen in den Himmel ragen. Die grünen Blätter an der Spitze kann ich kaum noch sehen. Es dauert einen Moment, bis ich das etwas spezielle Fenster entdecke. Die Hausbesitzer hatten es sogar schon entfernen lassen, mussten es aufgrund einer Petition der Anwohner aber wieder anbringen lassen, erklärt mir Claudia. Dieses Fenster wirft nämlich einen ganz besonderen Blick auf die Geschichte der Lecceser Altstadt.

Penis Fenster Sieh Dir das Fenster mal genauer an 

Wie Du vielleicht erraten hast, befand sich hier früher ein Freudenhaus. Ob man sich zu Werbezwecken, aus Provokation oder als Witz für dieses Fenster entschieden hat, wer es angefertigt hat und welche Dramen sich wohl dort drinnen zugetragen haben, das ist heute ein Geheimnis.

Claudia traut ihren Augen kaum, als wir an ihrer ehemaligen Studentenbude vorbeikommen. Dort, wo sie vor zwanzig Jahren gewohnt hat, steht nun ein schickes, neues Hotel-Ressort. Der alte Schuster ist nicht mehr da, den Gemüseladen gibt es nicht mehr und auch den Eismann, der immer „Gelati“ gerufen hat, suchen wir vergeblich. Lecce hat sich verändert. Die einst schmuddeligen Gassen der Altstadt, in denen einfache Leute wohnten, Menschen die sich keine schicken Neubauwohnungen leisten konnten, sind heute restauriert und frisch gestrichen. Aber nicht alle natürlich. Manche Ecken haben sich nur wenig oder gar nicht verändert.

altstadt gasse in lecce

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In dem kleinen jüdischen Viertel Lecces entdecke ich neben einer Haustür sogar noch die Aushöhlung in der Wand, in der sich früher wahrscheinlich eine Mesusa befunden haben muss. Sogar eine klimpernde Handwerkstube, in der alles verkauft oder wieder heil gemacht werden kann, finden wir noch. Passenderweise tönt von dort ein schnulzig schönes O sole mio auf die Straße.

Vor zwanzig Jahren war die Altstadt noch so etwas wie ein hässliches Entlein. „Aber sehr liebenswert und authentisch“, erinnert sich Claudia wehmütig. Es gab nur ein Pub, in dem sich alle trafen. Jeder grüßte jeden und man half sich, so gut man konnte. Wenn die Tür klemmte, ging man einfach runter zum Tischler. Orangenbäume wuchsen im Nachbarsgarten und hinten im Hof gab es gackernde Hühner. Die Haustüren standen offen, sodass man im Vorbeigehen einen Blick in die Wohnungen werfen konnte. Da saß dann die Oma und sah fern. Man hatte immer Zeit für ein Schwätzchen.

Auch wenn Claudias Studentenbude nun leider der Modernisierung zum Opfer gefallen ist und wohlhabende Touristen jetzt dort ein hübsches Bett für die Nacht finden, ist Lecce immer noch authentisch. Zum Glück.

altstadt gasse in lecce

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Mir fallen solche Veränderungen natürlich gar nicht auf, doch Claudia stößt immer wieder auf kleine Anzeichen der touristischen Anpassung. Läden, die ihre Öffnungszeiten geändert haben und nun in der Mittagszeit durcharbeiten, vegane Kebabs oder schicke Cafés, die Breakfast rund um die Uhr anbieten. Noch bis vor wenigen Jahren war die Mittagspause heilig. Schicke Souvenirshops lösen immer mehr Gemüseläden ab.

deko

orient express

Doch noch gibt es in Lecce kein Starbucks und keinen Coffee to go. Das würde auch wenig Sinn machen, da die Lecceser ihren Cafe sehr kurz und meistens sowieso im Stehen direkt an der Theke trinken. Diese paar Tropfen Kaffee lohnen es wirklich nicht, in einen Becher zum Mitnehmen gefüllt zu werden.

trödelladen lecce

schaufenster

 

Ein paar Tipps und Infos zu Lecce

Pasta di Mandorla

Unbedingt probieren mussst Du die Paste di Mandorla bei:

Il Fornaio di Greco Francesco
Piazza Sant’Oronzo, 23
73100 Lecce
www.ilfornaiolecce.it

Claudia findest Du auf pen and sea: Mein Apulien 

Bahnfahrkarten gibt es online hier  www.fseonline.it oder am Automaten.

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