In der Kirche von Otranto lese ich quasi den Fußboden. Denn die unendlich vielen kleinen Steinchen des Mosaiks erzählen diverse Geschichten aus der Bibel. Der komplette Boden ist mit einem riesigen, bunten Bild geschmückt, das aus unzähligen Figuren, Menschen, Tieren und Fabelwesen besteht
Die Santa Maria Assunta ist nicht die erste und auch nicht die einizge Kirche hier im Süden Italiens, die mich so überrascht. Versteckt hinter unauffälligen Fassaden, stolpere ich immer wieder über kleine und große Besonderheiten. Oder seltene Kunstwerke, wie heute eben das mehr als 800 Jahre alte Mosaik in der Kathedrale von Otranto. Schon seit Jahrhunderten sitzen die Gläubigen hier auf den Bänken, die direkt auf dem uralten Mosaik stehen. Trotz der alltäglichen Nutzung haben sich die Zigmillionen kleiner Steinchen fast vollständig erhalten.
Den Blick nach unten gewandt folgen wir also dem Stamm des Baumes, der sich im Kirchenschiff verzweigt. Die Äste unterteilen dabei die Geschichten, fast so wie die Seiten eines Buches. Doch schnell fällt auf, es sind nicht nur biblische Geschichten, die hier erzählt werden. Vielmehr scheint das gesamte Wissen der Menschen im Mittelalter hier niedergeschrieben worden zu sein. Da sind griechische Sagen genauso wie Sternzeichen oder gar arabische Fabeln zu finden. Die Bilder zeigen fleißige Bauern und Handwerker beim Bau eines Turmes, vermutlich soll das Babel sein. Aber auch an gruselige Szenen von Schlangen und gefolterten Kreaturen wird nicht gespart. Bei den Darstellungen der Hölle fehlte es den mittelalterlichen Künstlern jedenfalls nicht an Fantasie.
In einer Kapelle rechts der Apsis stehen wir vor 800 Totenköpfen und unzähligen Knochen. Es sind die Überreste der Märtyrer, die im 15. Jahrhundert in Otranto ihr Leben liessen. Nachdem die Stadt eine Schlacht gegen die Osmanen verloren hatte, weigerte sich eine Gruppe von Einwohnern, zum Islam überzutreten. Die Türken fackelten nicht lange und köpften die trotzigen Christen daraufhin.
Vor ein paar Jahren hat der Papst diese Märtyrer sogar heilig gesprochen, erzählt Claudia. Laut den Archäologen gibt es allerdings Zweifel daran, dass sich die Geschichte tatsächlich so abgespielt habe.
Doch es gibt noch mehr Besonderheiten in der Kirche von Otranto. Claudia führt mich eine Etage tiefer, in die Kellergewölbe, wo schon lange vor dem Bau der heutigen Kirche ein Tempel gestanden haben muss. Und dann stehen wir auch schon mitten in einem hellen Wald aus weißen Säulen. Die Krypta erinnert mich sofort an die Mezquita de Córdoba. Nur ist hier alles viel kleiner. Aber dieser unterirdische Bau wirkt mit seinen 42 völlig unterschiedlich geformten Säulen sehr freundlich, hell und geradezu gemütlich.
In der Kathedrale von Otranto sind die mannigfaltigen Einflüsse aller Kulturen vereint, die das Salento über die Jahrhunderte hinweg geprägt haben. Bilder und Geschichten der Griechen, Spanier und Türken sind heute friedliche Zeugen einer bewegten Vergangenheit. Eigentlich ein schönes Beispiel dafür, wie positiv es sein kann, wenn sich verschiedene Kulturen mischen. So entsteht aus dem bunten Miteinander etwas Neues, Eigenes.
Bei unserem letzten Besuch in Otranto vor zwei Jahren brannte noch die sommerliche Sonne vom Himmel. Jetzt im Januar weht stattdessen ein eiskalter Wind durch die menschenleeren Gassen. Der kleine Ort wirkt genauso verschlafen, wie die meisten Dörfer ringsum. Nur im Hafen scheint noch nach wie vor Betrieb zu sein.
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Ganz wichtig: Bei der Aussprache des Ortsnamens ist das erste O betont, nicht das A. Ich mache es auch nach Wochen hier leider immer noch falsch. Der Hafen Otrantos lässt das Herz aller, die gerne Schiffe gucken und Boot fahren, höher schlagen. Außer dem Hafen und der hübschen Altstadt, in der die Kirche steht, hat Otranto natürlich noch mehr Sehenswürdigkeiten zu bieten. Ganz in der Nähe gibt es eine Bauxit Grube und einen Leuchtturm. Die raue Küste kann sogar mit ein paar spektakulären Buchten und schönen Stränden aufwarten, an denen Du im Sommer baden kannst.
Auch die Burg in Otranto hat noch eine Überraschung parat. Dort kann man nämlich in die Kellergewölbe hinabsteigen und Höhlen entdecken. Davon erzähle ich aber ein anderes Mal.
Mehr Infos über die Gegend findest Du bei Claudia auf penandsea.net
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