So um die Jahrhundertwende kommt ein reicher amerikanischer Millionär zum ersten Mal in das kleine Fischerdörfchen Sitges. Sitges besteht zu dieser Zeit noch aus wenigen, kleinen Fischerhäusern. Die Wände der Häuser sind weiß, die Fenster und der Patio sind blau. Es muss wahnsinnig hübsch ausgesehen haben. Die Einwohner lebten entweder vom Fischen oder sie bauten Wein an …

Sitges Weiss und blau

… so fängt Sebas, der mich heute durch den Palau Maricel führt, die Geschichte dieses noucentistischen Palasts an. Ich lausche, während wir in dem wunderschönen Innenhof stehen:

Deering heißt der reiche Amerikaner, der eigentlich ein US-Marine war, bis er von seinem Vater ein Traktor-Imperium erbte. Aber Deering war nicht nur richtig reich, er war ein begeisterter Kunstsammler. In Barcelona wollte er den damals schon bekannten Ramón Casas kennenlernen. Irgendwie muss er ihn, wahrscheinlich im 4 gats, dann auch getroffen haben. Der berühmte Modernist und der reiche Millionär freundeten sich an und reisten durch Katalonien. Casas bringt Deering, wie auch Rusiñol ein paar Jahre zuvor, nach Sitges.

Der Modernist Rusiñol hatte sich bei seinem ersten Besuch in Sitges so sehr in das Dorf verliebt, dass er sich hier sein Cau ferrat, seine eiserne Höhle eingerichtet. Ein wahres Künstlernest war das. In dem Wohn-Atelier, das Rusiñol sich aus mehreren Fischerhütten bauen lassen hatte, trafen sich einige der bekanntesten Modernisten ihrer Zeit, arbeiteten und feierten zusammen.

Deering ist jedenfalls begeistert von Sitges. Er unterstützt Casas bereits finanziell und ist sein Mäzen geworden. Durch Casas lernt Deering auch andere Künstler kennen. Utrillo beauftragt er damit, ihm einen Palast zu bauen. Er will, genau wie Rusiñol, eine Wohnung und Platz für seine große Kunstsammlung schaffen. Nur natürlich noch größer und schöner, als das Cau ferrat. Den perfekten Platz dafür entdeckt der Millionär direkt neben dem Atelier und Wohnhaus Rusiñols, das heruntergekommene Armenkrankenhaus San Joan. Deering geht also zum Bürgermeister, legt ihm richtig viel Geld für ein neues Krankenhaus auf den Tisch und kauft sich das alte Gemäuer direkt am Meer.

Deering wird also stolzer Besitzer eines regelrechten Gebäudekomplexes. In dem ehemaligen Krankenhaus richtet er seinen Wohnsitz ein. In dem gegenüberliegenden Gebäude, das mit einer Brücke mit der Wohnung verbunden ist, soll seine Kunstsammlung untergebracht werden.

Brunnen Palau Maricel Sitges
Palau Maricel Innehnof Sitges
Palau Maricel Sitges Innenhof

Utrillo, den er nicht, wie den schon berühmten Ramón Casas als Freund, sondern eher wie einen Angestellten behandelt, schickt er durch ganz Spanien auf der Suche nach wunderbaren Stücken, aus denen er ihm einen Palast bauen soll. Utrillo ist zwar kein Architekt, sondern Ingenieur, aber auch ein Künstler. In Paris hat er später übrigens mit Suzanne Valadon einen Sohn, Maurice Utrillo, der einmal ein berühmter Maler werden soll und den Namen seines Vaters (oder Stiefvaters) annimmt. Aber das nur nebenbei.

Utrillo nimmt also den Job an. Er reist für Deering durch das ganze Land und kauft hier eine Tür, da ein Fenster, hier eine Sammlung Kacheln und dort eine Treppe. Der Palau Maricel ist ein zusammengepuzzeltes Kunstwerk. Sebas fragt, ob ich das Poble Espanyol in Barcelona kenne. Das Konzept dieses zur Weltausstellung 1929 gebauten “Spanischen Dorfs”, gehe nämlich auf die Idee des von Utrillo errichteten Palau Maricel zurück. Utrillo war daher auch am Entwurf des Poble Espanyol beteiligt.

Bevor wir aber die erste Treppe empor schreiten, macht Sebas mich noch auf eine rote Sonne mit drei blauen Wellenlinien darunter aufmerksam: Das ist das Logo, dass sich der Herr Deering entwerfen lassen hat, nachdem er sich unsterblich in den Sonnenuntergang in Sitges verliebt hat. “Ist denn der Sonnenuntergang hier so besonders?” frage ich. “Deering ist im Herbst hier angekommen. Da geht die Sonne direkt über dem Meer unter. Das sieht schon wunderschön aus.“ Das muss ich mir wohl auch mal ansehen.

Wappen Deering Palau Maricel

eingang Palau maricel Tür

Dann sind wir im ersten Salon angekommen, dem goldenen Salon. Hier befand sich zunächst ein Teil der wertvollen Kunstsammlung Deerings. Als dieser längst wieder zurück in den USA weilte, warum erfahre ich von Sebas später, wurde der Salò daurat von der Generalitat angemietet, um die leer stehenden Räumlichkeiten als Museum zu nutzen. Kurz vor Beginn des Spanischen Bürgerkriegs fanden hier Stücke aus anderen Museen Barcelonas ihren Platz. Und das war ein Glück, denn als die ersten Bomben auf Barcelona fielen, wurden auch diverse Museen in Barcelona getroffen und die Kunstwerke dort für immer vernichtet. Erhalten blieb nur, was im Palau Maricel aufbewahrt worden war.

lampe Sant Jordi Palau Maricel
Palau Maricel Kapelle

Kacheln Sonne Wappen Palau Maricel

Aber es gab auch noch andere Sammlungen. “Damals”, so Sebas “wollte man wertvolle Kunstwerke jedermann zugänglich zumachen. Da die Leute natürlich nicht so viel umherreisen konnten, um die Originale zu sehen, fertigte man einfach Repliken an und stellte sie hier aus.”

Als Sebas mich darauf aufmerksam macht, entdecke ich überall wieder den Sonnenuntergang: In den blauen Kacheln an der Wand, auf Bildern, auf den Bodenfliesen. Herr Deering muss von seinem Logo-Wappen richtig besessen gewesen sein 🙂

Bevor wir nach oben, auf die Terrasse gehen, kommen wir noch durch eine kleine Kapelle. Der Fußboden besteht aus schwarzen und weißen Kacheln, die von einem Achteck in der Mitte ausgehen. “Wie viele reiche Amerikaner damals war Deering ein Freimaurer”, erklärt Sebas. “Hier in der Mitte stand ein Podest. Darauf sollte, wenn er denn gefunden werden würde, der Kelch des Heiligen Abendmahls stehen.” Schon ein wenig exzentrisch, der gute Deering.

Boden Palau Maricel Freimaurer

Dann geht es auf die Terrasse. Ich staune nicht schlecht, als ich oben ankomme. Eine wahnsinnig schöne Aussicht, überall elegant geflieste Wände, Bänke und Blumen. “In der Mitte befand sich noch ein Brunnen”, sagt Sebas auf die große Fläche zeigend. “Das wissen wir, weil Fotos von damals erhalten sind”. Da Utrillo aber kein Architekt war, ging wohl bei seinen Plänen irgendetwas schief. Der Brunnen, so schön er auch war, verursachte arge Probleme und musste entfernt werden. Rings herum befand sich eine Art hölzerne Pergola, mit grünen Pflanzen, die angenehmen Schatten spendeten.

terrasse Palau Maricel Sitges

Palau Maricel Sitges Terasse

Bank Terrasse Palau Maricel
Blumen Terrasse Palau Maricel
brunnen ohne wasser palau maricel
Detail Deko Brunnen Terrasse

“Im Bürgerkrieg kam irgendwann ein Anruf von Deerings Enkel“, beginnt Sebas wieder eine der vielen Anekdoten, die er zu erzählen weiß. „Das Gebäude gehörte immer noch der Familie. Auch wenn sie es selbst gar nicht mehr nutzen, wollten sie auch nicht, dass ihr schöner Besitz im Krieg zerstört würde. Deerings Enkel ordnete daher an, auf eben dieser Terrasse eine riesige amerikanische Flagge zu malen, damit die Bomber von oben sofort erkennen konnten, dass dies Gebäude verschont bleiben sollte.“ Ich muss zwar lachen, aber offenbar hat der Plan funktioniert. Denn obwohl viele Gebäude in Sitges zerstört wurden, blieb rings um den Palau Maricel alles heil!

sitges

Nach dem Besuch auf dem Dach geht es auf der anderen Seite wieder hinein in den verwinkelten Gebäudekomplex. Schade, nun sind wir wohl schon fertig mit dem Besuch, denke ich. Aber Sebas, der mir die Tür aufhält, grinst mich erwartungsvoll an. Als ich durch die Tür komme, weiß ich warum: Wieder einer dieser Moment, in dem mir die Kinnlade runter klappt. So etwas Hammerschönes, habe ich lange nicht gesehen! Eine Art Kreuzgang mit Blick aufs Meer! Der Deering hat wirklich an nichts gespart! Ich staune einfach nur und bin erst mal sprachlos.

Kreuzgang Palau Maricel Sitges
aussicht Palau Maricel Sitges Säulen
Aussicht Terrasse Palau Maricel
Blick auf Maricel Mar Erzengel ehemaliges Krankenhaus
Palau Maricel Sitges Kreuzgang

Hätte ich ein Scheckbuch wie ein Millionär, würde ich das jetzt wohl zücken. Hier alt zu werden, mit dem Blick aufs Meer – das hätte schon was! Aber ich habe kein Scheckbuch und muss mich mit damit begnügen, diesen Moment in Fotos festzuhalten. Sebas hat diese Reaktion wohl erwartet. Er lächelt so wissend. Da bin ich wohl nicht die Erste, die bei diesem Anblick sprachlos ist.

Als ich mich mehr oder weniger eingekriegt habe, fängt Sebas an, mir mehr über diesen Teil des Palasts zu erzählen. Die Kacheln an den Wänden in diesem Kreuzgang zeigen ungewohnt verschmitzte Szenen. “Die sind auch recycelt”. Als das Hospital San Pau in Barcelona renoviert wurde, hat man all diese “alten” Kacheln abgehauen und wollte sie wegschmeißen. Da Utrillo gerade auf der Suche nach Material für den Bau des Palasts war, konnte er sie einfach mitnehmen und hier wieder aufbauen lassen. Hammerschön!

kacheln aus dem Hospital san Pau Palau Maricel Sitges
Kacheln Palau Maricel

Die Kapitelle der Säulen sind teilweise leider vom Meersalz total angegriffen. Vieles musste restauriert werden. Diese Kapitelle sind extra für Deering angefertigt worden und stammen ausnahmsweise mal nicht aus einer Kirche, einem Kloster oder einem alten Wohnhaus. Eine der Säulen zeigt sogar den Hausherren Deering in seinen verschiedenen Facetten: Als reicher Mann mit einem dicken Geldsack im Arm, als Rotary Gründer, als Ehrenpräsident des RACC (der katalanische Automobilclub à la ADAC, dessen Gründer und erster Präsident Ramón Casas war!) usw. Auf dem Kapitell einer gegenüberliegenden Säule entdeckt Columbus gerade Amerika. Allerdings ist der große Entdecker hier mit einem katalanischen Wappen unterwegs. 🙂
Deering Palau Maricel Sitges

Deering Kapitell Säule Palau Maricel
Kapitell Palau Maricel Columbus

Herr Deering war nicht nur mit der Familie Henry Fords befreundet, er war auch ein totaler Automobilfan. Er war so reich, dass er stolzer Besitzer eines der ersten und exklusivsten Autos war, die es damals gab, eines Rolls-Royce Phantom! Den konnte sich sonst nur der eine oder andere König leisten. Aber hier in Sitges fuhren Herr und Frau Deering gern mal mit ihrem Phantom durch die schlammigen Straßen auf den Markt, zum Einkaufen. Das muss ein echtes Spektakel für die Fischer von Sitges gewesen sein.

Leider nimmt die Geschichte des Millionärs kein schönes Ende. Irgendwann überwarfen sich Utrillo und Deering. Es gab Streitereien, wahrscheinlich wohl um Frauen und Geld – man weiß es nicht so ganz genau. Jedenfalls ging Deering zurück in die USA. Während Rusiñol seine Sammlung und sein Heim der Stadt Sitges als Museum hinterlassen hatte, nahm Deering seine Schätze, zu denen neben zahlreichen Werken von Ramón Casas, Utrillo und Rusiñol auch einige Velazquez, El Greco und Goyas zählten, mit nach Übersee.

Erst in den fünfziger Jahren kaufte die Stadt den Palau Maricel von Deerings Erben. Den Namen gab Deering seinem Kunstpalast übrigens nach einem berühmten Theaterstück von Angel Guimerà, einem Freund Ramón Casas: Mar i cel

Nützliche Infos zum Nachreisen:

Adresse:
Palau Maricel
Carrer Fonollar
08870 Sitges
Website Museus de Sitges museusdesitges.cat

Sebas, der mich mit all seinen unterhaltsamen Geschichten durch den Palau Maricel geführt hat, schreibt übrigens auch einen Blog, allerdings auf Katalanisch, mit wundervollen Fotos von Sitges, früher und heute: Sitgesplatjador.blogspot.com

Museu Marciel – Marciel de Mar:

Museu Maricel Sitges Skulptur
skulpturen Museu Maricel Sitges

Das ehemalige Wohnhaus und frühere Krankenhaus kann man übrigens auch besichtigen! Im Maricel de Mar, wie die Einwohner von Sitges das Museu Maricel nennen, finden verschiedene Kunstausstellungen statt. Und man kann die wundervolle Aussicht, die Deering von seinem Wohnzimmer aus hatte, bestaunen!

museu maricel Sitges