In einem kleinen Ort mit dem lustigen Namen Forlimpopoli lerne ich, wie man echte italienische Pasta selber macht. Und zwar von einer Meisterin höchstpersönlich, einer italienischen Omi!
Susi, die Direktorin des Kulturzentrums Casa Artusi, empfängt uns und erklärt zunächst einmal, wer denn der berühmte Pellegrino Artusi überhaupt war. In Italien kennt den Mann nämlich offenbar jedes Kind. Dieser Held aus Forlimpopoli war kein berühmter Koch, sondern ein gebildeter Geschäftsmann. Er hatte die glorreiche Idee, wo immer er in das gerade erst vereinigte Italien (so wie wir Italien heute kennen, gibt es das Land erst seit 1861!) auch hin kam, die regionalen Rezepte dort zu sammeln. Er sprach mit den Hausfrauen, guckte den italienischen Nonnas bei der Arbeit über die Schulter, probierte und sammelte alles, was er von der Lombardei bis nach Kalabrien hinunter fand. Zu Hause probierte er die Rezepte dann zusammen mit seinem Koch und seiner Haushälterin Marietta aus. Als er im Jahr 1891 das erste Kochbuch Gesamtitaliens herausbrachte, hatte er die Aufzeichnungen aus den diversen Sprachen und Dialekten ins Florentinische übersetzt, die Sprache Dante Alighieris, die wir heute Italienisch nennen.
„Bald befand sich in jedem Haushalt dieses Buch, das Artusi La scienza in cucina e l’arte di mangiare bene genannt hatte” erklärt Susi. Er hatte den Titel ganz bewusst gewählt, denn sein Werk war viel mehr als nur ein Kochbuch. Es zeigte zusammen mit den Rezepten nämlich einen Teil der Kultur der jeweiligen Region, aus der ein Rezept stammte. Angeblich könne man das Buch auch einfach zur Unterhaltung lesen, so gut sei es geschrieben. Ich bin sehr, sehr neugierig und beschließe, mir auch eine Ausgabe zu besorgen, auf Deutsch allerdings. In Italien hat bis vor Kurzem noch jede jungvermählte Frau eine Ausgabe von Artusis Rezeptsammlung zur Hochzeit geschenkt gekriegt.
Artusi ging es vor allem darum, die regionale, saisonale, einheimische Küche zu bewahren, zu zeigen und zu verbreiten. Überhaupt lieben die Italiener gutes Essen wie kaum ein anderes Volk auf der Welt. Und das merkt man deutlich! Hier geht es auch bei den Spitzenköchen nicht um überraschende Explosionen im Mund, um verrückte Spiele mit Farbe und Textur oder um knallige Molekularküchenexperimente. Das kann zwar sicher auch spannend sein, aber mir persönlich sind diese ehrlichen, im Grunde einfachen Gerichte, die mit unglaublich frischen und guten Zutaten gekocht werden, tausendmal lieber.
Im oberen Stockwerk des Kulturzentrums Casa Artusi stellt Susi uns zwei netten Damen vor. Hier treffen sich nämlich die Mütter, Omis und Hausfrauen Forlimpopolis, um anderen Leuten beizubringen, wie man richtige, echte Pasta macht. Sie machen das freiwillig und sind Mitglieder in einer Art Verein. In Erinnerung an Marietta, die Haushälterin des Pellegrino Artusi, die in einer Art Teamwork gemeinsam mit ihrem Chef und dessen Koch an dem berühmten Buch gearbeitet hat, nennen sich die Damen in Folimpopoli eben Le Mariette.
Zuerst zeigt uns Nadia mit flinken Händen, wie einfach es geht, frische Pasta selbst zu machen. Es sieht gar nicht so kompliziert aus. Ihr gehen die Bewegungen so leicht von der Hand. Beim Formen der verschiedenen Pastasorten wird es allerdings schon kniffliger. Meine Augen können ihren schnellen und sicheren Bewegungen der Finger gar nicht folgen. Das ist doch ein Zaubertrick. Nadia wiederholt alles noch einmal – für uns in Zeitlupe. Dann sind wir selber dran. Total engagiert und mit viel Liebe sind die Damen dabei, uns in ihre Kunst einzuweihen. Mit mehr (Nadia) oder weniger (ich) geübten Handgriffen werden Eier aufgeschlagen, der Teig geknetet und gerollt.
Brav und genau nach Anweisung versuche ich, nur aus Mehl und Eiern meinen Teig für die Pasta zu machen. Während ich mich bemühe, ihn wenigstens ansatzweise ähnlich kunstvoll und elegant auszurollen, frage ich Nadia, ob sie zu Hause die Pasta immer selber macht oder nicht vielleicht doch ab und zu mal fertige Nudeln kauft. „Nein, ich habe noch nie Pasta gekauft“ beteuert sie mir. Sie wirkt ehrlich verwundert über meine Frage. „Das geht doch so viel schneller!“ sagt sie und dabei grinst mich mit ihrem wissenden, charmanten Lächeln an. Ja, wenn man das so gut kann wie sie schon, denke ich. Aber da muss ich wohl noch viel üben.
Die Teigplatte vor mir darf ich immer nur in eine Richtung drehen. „Egal ob Du im oder gegen den Uhrzeigersinn drehtst. Aber wechsle bloss nicht die Richtung!“ Ich lerne, dass es am Besten ist, die Masse nahe am Körper zu bearbeiten und zu einem Viertel über die Holzplatte, auf der ich arbeite, hängen zu lassen. Überhaupt ist die Unterlage sehr wichtig. Pasta darf ich nur auf unbehandeltem Holz machen, auf dem ich keine anderen Dinge schneide oder schnipple. Da der Teig es gern warm und natürlich hat, soll ich niemals versuchen, meine Pasta auf Stein oder Metall zu machen!
Trotz meiner wenigen Italienischkenntnisse verstehen Nadia und ich uns relativ gut. Sie ist sehr geschickt darin, ihre Erklärungen mit den richtigen Gesten zu begleiten. Es hat was von Pantomime, was wir da machen, nur eben mit vielen Worten. Als ich versuche, ihr zu erzählen, dass ich zu Hause auf jeden Fall probieren werde, das von ihr Gelernte anzuwenden und meinen Mann und die Kinder mit selbst gemachter Pasta zu bekochen, lacht sie mich strahlend an und sagt so etwas wie Liebe geht durch den Magen, nur eben auf Italienisch: „Prendere il marito per la gola“. Dabei macht sie mit der Hand eine Bewegung den Hals hinunter, wie schlucken. „Aber nicht an die Gurgel gehen!“ und wir lachen beide über dieses verwirrende Wortspiel. Es macht mir wirklich total viel Spaß mit Nadia zu kochen. Sie ist einfach so wunderbar herzlich.
Beeindruckt bin ich aber nicht nur vom Können der Mariette, sondern auch von der schier unendlichen Vielfalt italienischer Pastasorten. Wir lernen in der Casa Artusi natürlich ein paar regionale Spezialitäten, die Klassiker der Emilia Romagna: Es gibt Garganelli, Cappelletti, Tortellini, Linguine und Maltagliati. Diese Letzten sind am einfachsten. Der Name lässt es schon erahnen, „schlecht geschnitten“ heißen sie auf Deutsch, denn man muss einfach nur kleine Ecken vom Nudelteig abschneiden.
Beim Formen und Kneten bleiben ein paar Schnipsel des Pastateigs übrig. Aber hier wird absolut nichts weggeschmissen! Diese kleinen Pastafetzen werden von Nadia mit dem Messer kurz zerhackt. „Die Maltagliati kannst du in ein eine klare Suppe geben“ erklärt sie mir gleich den passenden Verwendungszweck. Ich bin so was von beeindruckt! Mein Traum war es schon immer, wenn ich mal groß bin, eine italienische Mamma zu werden, draußen unter einem Baum mit Blick auf die Weinreben, meine zwanzig Kinder und Enkelkinder um mich zu versammeln und sie mit Töpfen voller leckerem, selbst gekochtem Essen zu verwöhnen. Pasta machen kann ich jetzt ja schon. Wenigstens theoretisch. Ich muss zwar ordentlich üben, bis mir das so locker von der Hand geht wie Nadia, aber noch habe ich ja auch keine zwanzig Enkelkinder.
Nicole proudly presents: die erste selbst gemachte Pasta!
Die Pasta unten im Bild ist zwar nicht von mir sondern von Nadia, aber man sieht prima den Unterschied zwischen Tortellini und Cappelletti: Die Cappelletti sind dickbäuchiger und größer, die Tortellini sind kleiner und haben eine Art Loch in der Mitte.
Hinweis: Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Blogtrips durch die wundervolle Region Emilia Romagna. Die hier erzählten Erlebnisse und Eindrücke sind selbstverständlich ausschließlich meine eigenen.
Da hätte ich mal richtig lust drauf.
Das gab es zwar schon ein paar Mal im Fernsehen, aber von richtigen Leuten lernen, mit Geschichten und Anekdoten, ist doch etwas anderes.
Für mich ist es immer ein echtes Highlight, wenn ich auf Reisen die Chance habe, ältere Leute kennenzulernen. Die haben fast immer unglaubliche Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen und sind so schön natürlich. Und im Pasta machen sind die Italienerinnen nun mal echte Meisterinnen! <3