Eine gefühlte Ewigkeit schon kurve ich durch die einsame Gegend im Hinterland der Côte Vermeille. Bräunlichrot bis goldgelb leuchten die Blätter der Weinreben überall um mich herum. Jetzt im Herbst, wenn die Sonne tief steht und die letzten Sonnenstrahlen des Nachmittags auf die Erde fallen, sieht die ganze Landschaft aus, wie in einem Märchenbuch. Inmitten dieser sanften Hügel nahe der Küste bin ich auf der Suche nach einer Vinaigrerie, einem kleinen Hof in den Bergen. Hier wird Essig noch nach der althergebrachten Art gemacht. Mit viel Zeit und an der frischen Luft. Kein industrieller Essig, wie man ihn im Supermarkt findet, sondern so, wie Großmutter ihn wohl gemacht hätte.

kunst

Als ich schließlich ankomme, werde ich von fröhlich bunten Töpfen und Fässern am Wegesrand begrüßt. Ich parke das Auto und folge den farbenfrohen Kunstwerken ein paar Meter weiter. Hinter einer Ecke stehe ich dann auch schon vor dem offenen Lager. Unter einem Dach, aber an der frischen Luft, ruhen hier unzählige Holzfässer in mehreren Reihen nebeneinander. Oben auf den Fässern liegend, bedecken bunte Tücher eine große quadratische Öffnung. Schon erscheint Nathalie und begrüßt mich herzlich. Sie ist die Vinaigrière, eine der wenigen Essigmacher(innnen), die den Essig noch ganz auf natürliche Art herstellen und dabei völlig ohne Chemie auskommen. Während es im Mittelalter noch an die 300 Vinaigreries hier in der Gegend gab, scheint der Beruf heute mehr oder weniger ausgestorben zu sein.

faesser essig

Nathalie strahlt und ist ein durch und durch positiver Mensch. Schon nach fünf Minuten fühle ich mich zwischen ihren Fässern und Flaschen pudelwohl. Aufmerksam höre ich zu, wie sie mir erzählt, dass sie schon mit Wein groß geworden ist. Sie kennt sich aus mit den Trauben und den Produkten, die man daraus herstellen kann. Für den Essig braucht man viel Geduld, sagt sie. Die Herstellung eines wirklich guten Essigs ist kein schnelles, lukratives Geschäft. Man braucht schon ein wenig Erfahrung, viel Zeit und auch Liebe zum Produkt.

Nathalie ist wirklich mit dem ganzen Herzen dabei. Schon bei der Auswahl des Weins ist es wichtig, seine Eigenschaften zu kennen. Denn die Geschmacksnuancen des Weins kommen hinterher auch im Essig durch. Nur aus natürlichen, guten Weinen, ohne Sulfite und chemische Zusatzstoffe, kann man einen guten Essig machen, beteuert die Maître de vinaigre. Sorgfältig wählt sie französische, aber auch spanische oder italienische Weine aus, die als Basis für ihren Essig dienen.

faesser vinaigre essig

Die Holzfässer sind nur bis zur Hälfte mit Wein gefüllt. So haben die Essigbakterien die größtmögliche Oberfläche, um den Alkohol im Wein in Essig zu verwandeln. Dann braucht es Geduld. Nathalie lässt die Natur arbeiten. Bei idealen Bedingungen braucht es mehrere Wochen, es kann aber auch mehrere Monate dauern, bis so ein Essig fertig ist. „Il faut de la chaleur et il faut de l‘air“ sagt Nathalie. Essig braucht Wärme und frische Luft. Optimal sind Temperaturen um die 20 C Grad. Wenn es kälter ist, dauert es entsprechend länger. Aber auch große Hitze mögen die Bakterien nicht. Nathalie achtet täglich darauf, wie sich die Flüssigkeit im Fass entwickelt. Sie schnuppert und probiert, bis sie sicher ist, dass der Essig in große bauchige Flaschen umgefüllt werden kann. Da ruht die braune Flüssigkeit dann noch, bis sie gefiltert und in kleine Flaschen zum Verkauf abgefüllt wird.

flaschen vinaigre essig

vinaigre

Zusammen mit ihrem Mann und ein paar Angestellten arbeitet Nathalie hier das ganze Jahr durch. Sie machen alle Arbeitsschritte selbst, vom Abfüllen, über das Etikettieren bis zur Verpackung. Und das, obwohl sie nicht nur an die Besucher verkaufen, sondern auch die Gastronomie in der Umgebung, und sogar im Ausland beliefern.

Nachdem ich nun so viel über den Essig gelernt habe, darf ich ihn schließlich auch probieren. Diese rotbraune Flüssigkeit auf dem Löffel duftet schon mal lecker. Der leicht säuerliche Geschmack hat jedoch absolut gar nichts mit dem üblichen Essig aus dem Supermarkt gemein. Der Essig auf meinem Löffel schmeckt sanft und rund und ein wenig fruchtig. Fast wie ein guter Rotwein. Der Hammer aber sind kleine rötliche Perlen, die ich auch noch verkosten darf. Diese fast durchsichtig schimmernden Kügelchen explodieren im Mund, bevor sie ihren Geschmack freigeben! Nathalie lacht. Nicht nur die Chefs der guten Restaurants wissen ihren Essig zu schätzen.

essigperlen essig

Infos zum Essig

Aus dem französischen Wort für Essig „vinaigre“ kann man schon seinen Ursprung, nämlich „saurer Wein“ herleiten. Schon in der Antike sollen Menschen ja Alkohol und auch Essig gekannt und verzehrt haben. Während man vor vielen Jahrhunderten jedoch einfach Wein oder Bier stehen ließ, bis die Bakterien ganz von allein Essig daraus gemacht hatten, beobachtet man den Prozess heute genau. Denn um aus einem guten Wein einen guten Essig zu machen, muss man die Vergärung auch ein wenig steuern. Schließlich soll das Endprodukt ja nicht einfach nur sauer, sondern ausgewogen und wohlschmeckend sein. Also muss man gut aufpassen, dass neben den gewünschten Essigbakterien, keine anderen, ungewollten Einflüsse in den Essig gelangen.

Nathalie Lefort – Vinaigrerie La Guinelle
Hameau de Cosprons
66 660 Port Vendres
Website:  levinaigre.com

Die kleine Essigmanufaktur ist das ganze Jahr über von Montag bis Freitag geöffnet. Zwischen 9 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr kannst Du dort Essig verkosten und kaufen.

Nathalies Weinessig hat übrigens nichts mit dem Balsamico-Essig aus Modena gemeinsam. Balsamico wird aus Most und nicht aus Wein gemacht, ist eher zähflüssig und schmeckt leicht süßlich. Weinessig macht man, wie der Name verrät, aus Wein, ist heller und flüssiger.

Hinweis: Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Blogtrips, zu dem ich von Tourisme Occitanie eingeladen wurde. Meine Begeisterung für diese Gegend ist davon wie immer unbeeinflusst und beruht einzig und allein auf meiner ganz persönlichen Liebe zu diesem Stückchen Land.