Calatayud ist eine kleine Stadt, gerade groß genug, aber nicht zu groß. Hier kennt jeder jeden, man grüßt sich, wenn man sich auf der Straße trifft und für ein kurzes Schwätzchen ist auch immer Zeit. Eine sehr angenehme Größe, denn Calatayud hat es geschafft, alles zu haben, was man in einer Stadt zum Leben braucht, und gleichzeitig ein privates, dörfliches Ambiente zu behalten. Es gibt viele nette Bars und Restaurants, ein Theater, Kino, zahlreiche Geschäfte, wie zum Beispiel den netten Weinhandel, in dem mir Izan supernett und fachkundig die hier in der Gegend produzierten Weine der D.O. Calatayud vorstellt, denn auf die hat er sich spezialisiert (kleiner Tipp vorweg: wenn Du in Calatayud bis, mach eine Verkostung in seinem kleinen Weinladen 😉 )

Calatayud Marktplatz

Wenn man durch die Straßen schlendert, fällt auf, dass einige Gebäude hier ziemlich schief sind. Diese Schieflage entsteht durch Absenkungen des Bodens, die wiederum auf Auswaschungen des Gipsgesteins zurückzuführen ist, denn der Untergrund in dieser Gegend ist voll davon. Schon die Mauren nutzten das Gestein als Baumaterial, das im Gegensatz zu dem Gips heute allerdings nicht wasserlöslich war. Was genau da im Untergrund passiert, weiß ich leider auch nicht, aber es sind offensichtlich mehrere Gebäude davon betroffen. Das bekannteste ist sicher die Kirche San Pedro de los Francos mit ihrem schiefen Turm.

  Calatayud Marktplatz

Ausländische Touristen treffe ich in Calatayud so gut wie gar nicht. Einmal höre ich ein paar Franzosen, ansonsten spricht man um mich herum nur Spanisch. Im Sommer kommen die meisten Besucher aus verschiedenen Gegenden des Landes hierher, um sich in einem der vielen Balnearios, die Spa- und Wellnessbäder, zu erholen. Oder auch, um das ganz in der Nähe liegende Monasterio de la Piedra zu besuchen, das ich mir bei der nächsten Gelegenheit auch unbedingt noch ansehen will.

Calatayud Marktplatz

Bilbilis

Schon vor meiner Reise hatte ich von der Ausgrabungsstätte vor den Toren Calatayuds gelesen, den Überresten einer Stadt, in der Lusonen (ein keltiberischer Stamm) zusammen mit römischen Siedlern lebten und arbeiten. Als ich dann aber persönlich durch das einstige Bilbilis spaziere, bin ich mega erstaunt über diese Ausmaße. Schon von Weitem ist das Forum zu erkennen, das nicht wie bei römischen Siedlungen üblich, im Zentrum, sondern eher am Rande errichtet wurde, sodass man den beeindruckenden Bau schon vom Tal aus sehen kann. Der beinah 50 x 50 Meter große Platz war einst umgeben von Verwaltungsgebäuden, einem Tempel und zahlreichen Geschäften.

Bilbilis calatayud

Bilbilis calatayud

Bilbilis calatayud
Vom Theater kann man noch die halbkreisförmig angeordneten Sitzreihen erkennen. Der Bühnenkomplex befand sich zum Tal hin ausgerichtet, sodass kräftige Mauern den Bühnenaufbau mit den Säulen und den Statuen stützen mussten. Eine ziemlich aufwendige Konstruktion. Erstaunlicherweise fasste das Theater an die 4.600 Zuschauer, ähnlich wie Tarraco, die Haupstadt der römischen Provinz Hispania. Das waren sehr viel mehr Menschen, als für die Größe der Stadt notwendig gewesen wäre. Die archäologischen Untersuchungen lassen darauf schließen, dass Bilbilis beeindrucken sollte.

Bilbilis calatayud römisches theater

Bilbilis calatayud ausgrabungsstätte

In der kurzen Blütezeit der Siedlung als moderne Vorzeigestadt, wurde am 1. März des Jahres 40 ein bedeutender römischer Dichter, Marcus Valerius Martialis, hier geboren. Nachdem er als junger Mann nach Rom gegangen war und es dort als Poet zu Ruhm und Wohlstand gebracht hatte, kehrte er im Alter, womöglich nicht ganz freiwillig, nach Bilbilis zurück und blieb dort bis zu seinem Tod.

Bilbilis calatayud museum

Bilbilis calatayud museum

museum Bilbilis calatayud

Weiter oben am Hügel schützt ein Dach die Ausgrabungsstätte, in der die Therme noch deutlich zu erkennen ist. Zwar hat man die Anlage schon in den 30er Jahren zum Kulturerbe erklärt, aber umfassende Untersuchungen fanden erst in den 70er Jahren statt. Bis dahin sind die Menschen der Gegend hier jahrzehntelang spazieren gegangen und haben bunte Steine, Scherben oder andere kleine und große Funde mit nach Hause genommen, genauso wie unzählige Generationen vor ihnen, denn halb Calatayud ist aus den Steinen von Bilibis gebaut.

Bilbilis calatayud ausgrabung archäologisch Bilbilis calatayud Bilbilis calatayud mosaik

Als man das sehr empfehlenswerte Museum in Calatuyd einrichtete, haben zum Glück viele dieser Funde als Spende den Weg in die permanente Ausstellung gefunden. Dort kann man auch die Münzen bestaunen, die hier geprägt wurden, denn das Münzprägerecht wurde nur an bedeutende Städte verliehen.

münzen Bilbilis calatayud

büste Bilbilis calatayud
Museum karte Bilbilis calatayudAus welchem Grunde auch immer, wurde der prächtige Ort schließlich aber verlassen und nur noch von einer Handvoll Menschen bewohnt. Die nutzten Bilbilis im 9. Jahrhundert offensichtlich als Steinbruch, denn bei einem Bummel durch Calatayud finden sich an vielen Gebäuden deutlich erkennbare Steine, die aus der römischen Siedlung stammen: die alte Synagoge, die Kirchen, die ehemaligen Eingangstore und die maurische Burg, el Castillo de Doña Martina.

Bilbilis calatayud steine marmor
marmor steine Bilbilis calatayud

Maurisches Qal’at Ayyûb

Mit der Ankunft der Mauren 714 verändert sich die kleine iberische Siedlung, die sich mehr oder weniger zwischen der Puerta Terrer und dem Hügel des heutigen Castillo de Doña Martina erstreckte. Auch der Name änderte sich. Die Eroberer aus dem Süden nannten die Stadt Qal’at Ayyûb, was nichts anderes als befestigte Stadt heißt. Später wurde daraus Calatayud.

maurische festung Castillo calatayud

maurische festung Castillo calatayud

Schon ein Jahrhundert später erhob sich hier eine mächtige Festungsmauer, der vermutlich älteste maurische Festungsring auf der Iberischen Halbinsel. Eine mächtige Mauer verband eine große und vier kleine Burgen, die sich kreisförmig auf fünf kleinen Hügeln erhoben und schützte die Menschen, die innerhalb dieses Rings lebten.

festungsring

Im alten maurischen Viertel Calatayuds, erkennbar an einem Halbmond auf den Schildern mit den Straßennamen, führt ein schmaler Weg zur ersten Burg, die die Mauren an dieser Stelle errichteten. Vom Castillo de Doña Martina reichte die Befestigung zur Hauptburg, der Qalʿat Ayyŷb, mit ihren achteckigen Türmen und bis heute eindrucksvollen Mauern. Von da ging es weiter zum Castillo de la Torre Mocha, der vermutlich als eine Art Wasserspeicher genutzt wurde, und zu einem heute verschwundenen Uhrenturm (Torre del Reloj Tonto), von dem nur noch die Glocke erhalten ist. Die wird allerdings zu besonderen Gelegenheiten immer noch geläutet. Die fünfte Burg des Festungsrings stellte das ebenfalls verschwundene Castillo de la Peña dar, das schon früh dem Bau einer kleinen Kapelle (Santuario de la Peña) weichen musste.

maurische festung Castillo calatayud

maurische festung Castillo dona martina

 

 Castillo calatayud
festungsring

Nach rund vierhundert Jahren maurischer Herrschaft erobert Alfonso I König von Aragón und Navarra 1120 die blühende Stadt Qal‘at Ayyûb. Unter christlicher Regentschaft verändert Calatayud sein Gesicht. Die Stadt wird umgebaut und umstrukturiert. Die neuen Christen ziehen ins flache Zentrum, und die wenigen verbliebenen maurischen Bewohner errichteten ihre Wohnungen am Rande der Stadt, nahe dem Hügel, auf dem sie einst die erste Festung errichtet hatten. Nur das jüdische Viertel bleibt mehr oder weniger wo es war.

maurische festung Castillo calatayud

 

Die Kirchen in Calatayud

La Colegiata

Noch im Jahr der Eroberung 1120 wird eine erste prächtige Kirche gebaut, La Colegiata de Santa María la Mayor. Ob sie möglicherweise auf den Grundmauern der ehemaligen Mezquita erreichtet wurde, kann man heute nicht mit Sicherheit sagen. Fest steht, dass man 2017 bei Arbeiten im Fundament Reste eines romanischen Kirchenbaus aus dem 12. Jahrhundert entdeckt hat. Die umfassenden und dringend notwendigen Restaurierungsmaßnahmen, die die Kirche vor dem Einsturz retteten, wurden gerade erst beendet und die Kirche wieder für Publikumsbesuche geöffnet.

colegiata calatayud

 

Der spanische Bildhauer Juan de Talavera gestaltete im 16. Jahrhundert das prächtige Portal aus Alabaster, das die Eingangspforte umrahmt. Das Kirchenschiff erinnert mit seinem beeindruckenden Kuppelbau und der reichen Dekoration der Kapellen eher an eine Kathedrale, als an eine Kirche. Der schönste Teil der Colegiata ist jedoch ihr Glockenturm. Die Torre Campanario im Mudéjarstil gehört zu den Bauten Aragóns, die in die UNESCO Weltkulturerbeliste aufgenommen wurden.

colegiata calatayud

San Pedro de los Francos

Diese kleine Kirche wurde ursprünglich für die aus Frankreich stammenden Soldaten (los Francos) errichtet, die auf Seiten König Alfons I bei der Eroberung der Stadt geholfen hatten. Der Muedéjar-Turm stammt allerdings aus einer Zeit vor dem 14. Jahrhundert und wurde im Stil eines Minartetts der Almohadenzeit errichtet (ähnlich wie die Koutoubia Moschee in Marrakesch).

san pedro de los francos mudejar calatayud

Steht man vor der Fassade der Kirche, fällt besonders auf, wie schief der Glockenturm ist, der sich deutlich gen Straße neigt. Angeblich war diese Neigung früher noch stärker, denn 1840, als die spanische Königin Isabel II in Calatayud zu Besuch war, soll der Turm noch seine ursprüngliche Höhe gehabt haben. Um die Monarchin nicht zu erschrecken, die in einem Palast gegenüber untergebracht war, liess man den schiefen Glockenturm kurzerhand ein paar Meter kürzen.

san pedro de los francos mudejar calatayud

Im Kirchenschiff von Sant Pedro de los Francos finden heute zahlreiche kulturelle Veranstaltungen und Orgelkonzerte, aber keine Gottesdienste mehr statt. Extra für die französischen Soldaten wurde in einer der Kapellen die Grotte von Lourdes nachempfunden. Falls Du Dich wunderst, warum der Klopfring an der Pforte so ungewöhnlich weit oben angebracht ist: Der Klopfer war für diejenigen gedacht, zu Pferde durch diese Tür reiten wollten. Für kleine Menschen kaum erreichbar.

san pedro de los francos mudejar calatayud

San Andrés
Auch der Glockenturm der San Andrés Kirche ist im Mudéjarstil errichtet. Meiner Ansicht nach der schönste Kirchturm, neben dem außerdem noch ein tolles Wandbild an die drei Kulturen, die diese Stadt prägten, erinnert.

san andres mudejar

 

San Sepulcro
Die Basilica del Santo Sepulcro ist das Mutterhaus des Ordens vom Grabe Jesu, des ältesten Ritterordens, der vor über tausend Jahren in Jerusalem gegründet wurde, zu einer Zeit, in der es noch keine Tempelritter gab. Bis heute trifft der Orden del Santo Sepulcro jedes Jahr im März hier zusammen und feiert eine besondere Messe, bei der neue Mitglieder ernannt werden. Der Hauptaltar und die Seitenkapellen sind der Kreuzigung und der Auferstehung Christi gewidmet.

santo sepulcro mudejar calatayud

San Juan el Real
In der vom Jesuitenorden errichteten Kirche fallen als Erstes die Gitter in der oberen Etage auf. Hinter diesem Sichtschutz nahmen die Jesuiten an den Gottesdiensten teil, ohne selbst gesehen zu werden. „Coretti“ nennt man diese Gitter wohl. Im Jahre 1767 wurde der Orden übrigens aus Spanien vertrieben.

san juan real calatayud

 

san juan real calatayud

Unter der Kuppel der kleinen Pfarrkirche San Juan el Real kann man ein Werk Franciso Goyas entdecken. Auf die Entfernung ist das recht dunkle Bild kaum zu erkennen. Besonders gut klingen soll die Rokoko-Orgel, das Instrument hinter der schmückendne Außenstruktur ist das Werk eines deutschen Orgelbauers aus dem Jahr 2001. Überhaupt gibt es in Calatayud unglaublich viele beeindruckende Orgeln. Also falls Dich diese Instrumente interessieren, dann ist Calatayud genau der richtige Ort für Dich!

san juan real calatayud goya

goya calatayud

san juan real calatayud

Abseits des Massentourismus:

Sobald man den modernen AVE Bahnhof in Calatayud verlässt, beginnt ein kleines Abenteuer. Trotz des modernen Hochgeschwindigkeitszuges ist Calatayud nicht dem Massentourismus zum Opfer gefallen. Ganz im Gegenteil: hier geht es wirklich noch authentisch zu. In den Läden wird man nicht auf Englisch angesprochen und die Menüs in den Restaurants haben keine erklärenden Fotos. Ein paar Brocken Spanisch sollte man also sprechen, wenn man die Kulturschätze der kleinen Stadt finden und bewundern will. Für alle, die gern abseits der üblichen Touristenrouten unterwegs sind, ist Calatayud eine Goldgrube.

Dolores calatayud

Mir kommt die Stadt wie in einem Dornröschenschlaf vor, denn die Menschen hier sind sich ihrer kulturellen Schätze gar nicht bewusst. Wenn die Stadt eines Tages erwacht und die Bauwerke ihrer jahrtausendealte Geschichte mit modernen interaktiven Dokumentationszentren ausstattet, wird es vorbei sein mit dieser Ruhe. Doch bis dahin werden abenteuerlustige Reisende Calatayud als eine kleine, unverfälschte Schatztruhe vorfinden, in der sie sich auf eigene Faust auf die Suche nach verborgenen Schätzen machen können.

paseo calatayud

 calatayud

Nützliche Infos

Tourist Office 
Plaza España, neben dem Rathaus
50300 Calatayud

san andres mudejar calatayud

Vinos I Licores Ciria
Plaza. San Francisco, 3
50300 Calatayud

Museo de Calatayud
Plaza Santa Teresa, 3
50300 Calatayud
Website

museum bilbilis
archäologische funde bilbilis

Hotel Mesón Dolores

„Wenn du nach Calatayud fährst, frag nach Dolores“ haben mir gleich mehrere Leute vor meiner Reise gesagt und dabei geschmunzelt. Natürlich musste ich da ein wenig forschen und bin ziemlich schnell auf ein in Spanien sehr bekanntes Lied gestossen, das genau mit dieser Zeile anfängt. In Calatayud gibt es ein Hotel, das der Geschichte der legendären Dolores gewidmet ist, el Méson de la Dolores. Mein Zimmer dort war einfach, aber überraschend groß und hatte alles, was man so braucht. Zum Hotel gehört auch ein Restaurant und eine kleine Cafébar, in der man etwas frühstücken kann. Website www.mesonladolores.com

dolores calatayud

Im Kellergeschoss des rustikalen Landhauses staune ich über die große Sammlung an Gegenständen und Dokumenten zu der Legende. In dem Lied, das besonders bei der älteren Generation sehr beliebt ist, geht es um einen Reisenden, der von einer Frau namens Dolores erzählt, die er in Calatayud kennengelernt habe. Er beschreibt sie als wunderschön und erzählt, dass Dolores von einem Friseur namens Melchior verführt worden sei. Doch da sich noch andere Bewunderer unsterblich in die schöne junge Frau verliebt hatten, endet das Lied schließlich damit, dass Melchior stirbt, weil ein ebenfalls in Dolores verliebter Mönch ihn aus Eifersucht ersticht. Der Dolores-Mythos beruht sogar auf einer wahren Geschichte, denn eine María Dolores Peinador Narvión lebte tatsächlich in Calatayud und diente dem Lied als Vorlage.

dolores calatayud

dolores calatayud

 

In der wahren Geschichte heiratet die junge Frau einen Soldaten und verjubelt angeblich mit ihm die Erbschaft ihrer verstorbenen Mutter. Verarmt zieht sie nach dem Scheitern ihrer Ehe mit vier Kindern nach Madrid und mit dem Lied entsteht der Mythos um die halb fiktiv, halb reale Dolores. Zum Glück dürfen bei der Musik die Geschmäcker verschieden sein und Menschen, die nicht mit diesem Lied aufgewachsen sind, stellen sich vermutlich die Frage nach der politisch-moralischen Korrektheit der Geschichte über eine junge Frau, die Opfer der von Männern dominierten Welt gewesen zu sein scheint.

Essen und Schlafen …

… kann man auch in der netten kleinen Posada Arco de San Miguel, direkt neben der Puerta de Zaragoza. Ein gutes Restaurant gehört auch dazu: www.arcodesanmiguel.com

restaurant calatayud

Mit dem AVE nach Calatayud:

Calatayud war meine vorerst letzte Station auf meiner einwöchigen Städtereise mit der Bahn. Wenn Du die anderen Berichte meiner Fahrt bereits gelesen hast, wirst Du wissen, wie begeistert ich vom Bahnfahren in Spanien bin. Das funktioniert hier nämlich sehr viel besser als in Deutschland. Vom Nahverkehr vielleicht mal abgesehen, sind die AVE-Züge bisher jedenfalls immer extrem pünktlich, bequem und zuverlässig. Ich hoffe, da kommt in nächster Zeit niemand auf die Idee, die Bahn zu privatisieren…

Hinweis: Pressereise