Schafe grasen friedlich auf dem Rasen, während nur wenige Meter weiter der Atlantik in friedlich sanften Wellen das Ufer begrüßt. Meist ist er wesentlich stürmischer, doch heute ist es fast windstill und so fressen die beiden Mutterschafe mit ihren Lämmern ganz ungestört das Gras der Klosterwiese. „Die Schafe sind unsere Gärtner“ erklärt der Guide, der mich und die kleine Gruppe Besucher durch die alten Gemäuer führt. Der Rest der Herde grast hinter dem Kloster, getrennt von den Muttertieren, auf einer anderen Wiese. Viele Leute sind es nicht, die sich unter der Woche in das kleine Dörfchen Oia, kurz vor der portugiesischen Grenze, verirren. Ein junges Pärchen, eine kleine Familie inklusive Kindermädchen und ich lauschen gespannt den Erzählungen unseres Guides bei der Führung durch das Kloster.
Der Legende nach, so erzählt uns der Guide, soll es hier schon im frühsten Mittelalter zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Mauren und Christen gekommen sein. Um Zeit zu schinden, bis die Nachhut den maurischen Truppen zu Hilfe käme, schlugen diese einen Waffenstillstand vor. Der solle solange andauern, bis der Feigenbaum, der an dieser Stelle gestanden haben soll, blühte. Die nichts ahnenden Anführer der christlichen Truppen schlugen ein und so wurde der Waffenstillstand geschlossen. Doch der Feigenbaum machte den Mauren einen Strich durch die Rechnung. Statt wie erwartet erst in einigen Wochen oder Monaten, schlug er zu einem völlig unerwartete Zeitpunkt, schon wenige Tage nach dem vermeintlichen Abkommen aus. Zu wenig Zeit für die nachrückenden Truppen. Ohne die Nachhut wäre die Niederlage der Mauren jedoch vorprogrammiert gewesen. So zogen sie lieber von dannen und liessen es gar nicht erst zu einem weiteren Kampf kommen.
Die Geschichte dieses Wunderbaums, der den Christen zu Sieg verholfen haben soll, zog bald die ersten Mönche und Eremiten an. Ein erstes kleines Kloster entstand. Die ersten schriftlichen Belege stammen aus dem Anfang des zwölften Jahrhunderts. König Alfons VII der das Kloster in Oia gestiftet haben soll, herrschte zu dieser Zeit in Galicien, León und Kastilien. In León ließ sich Alfons 1135 zum Imperator totius Hispaniae, was so viel wie Herrscher über ganz Spanien bedeutet, krönen. Doch nicht alle der vielen kleinen Königreiche und Fürstentümer der Iberischen Halbinsel waren damit so ganz einverstanden.
Dem kleinen Kloster an der galicischen Küste ging es gut. Die Könige gewährten den Mönchen zahlreiche Fischereirechte und landwirtschaftliche Privilegien. Die Äbte des Klosters regierten quasi praktisch über Jahrhunderte hinweg die gesamte Region mit. Im Kloster wurde nicht nur Recht gesprochen, auch im Verteidigungsfall mussten die frommen Männer wichtige Entscheidungen treffen. Da Galicien fast immer von See her angegriffen wurde und das Kloster direkt an der Küste lag, kam ihm eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der Region zu.
Die Mönche musste sich Kanonen und Waffen zulegen, um im Falle eines Überfalls, mithilfe der Dorfbewohner, die dann in den Klostermauern Schutz suchten, die Angreifer in die Flucht schlagen zu können. Einmal traf es sich, dass einer der Mönche als Soldat gekämpft hatte, ehe er ins Klosterleben eingetreten war. Bei einem Piratenangriff 1624 war sein Können und seine Erfahrung bei der Verteidigung so wertvoll, dass das Schiff der türkischen und berberischen Angreifer versenken konnte. König Felipe IV verlieh dem Kloster daraufhin den Titel Real e Imperial Monasterio de Oia, königlich kaiserliches Klosters von Oia. So sehr wurde Bruder Anselm damals gefeiert, „er wäre heute sicher ein Twitterstar“ lacht unser Guide.
Mittlerweile sind wir bei unserem Rundgang im Kreuzgang angekommen. Überall liegen große Steine und Felsbrocken, Türen sind mit Brettern notdürftig vernagelt. Es sieht schon ziemlich verlassen aus, aber auch irgendwie sehr romantisch.
Der Kreuzgang ist ziemlich schmucklos und schlicht gehalten. Es war ein Ort, der inneren Einkehr, nicht der Arbeit. Nichts sollte die frommen Männer hier ablenken. In dem Teil des Kreuzgangs der sich neben dem Kirchenschiff befinden, soll man vor Jahren mehrere Skelette gefunden haben. Archäologen schlossen schnell, dass der Kreuzgang über einem ehemaligen Dorffriedhof, der sich einst neben der Kirche befunden haben muss, angelegt worden sei. Doch der Durchgang in die Kirche ist heute vernagelt. Das Gotteshaus selbst wurde vom übrigen Gebäude durch eine Bretterwand getrennt.
Im neunzehnten Jahrhundert kam es in ganz Spanien wiederholt zur Überführung kirchlicher Güter und Besitztümer in staatlichen Besitz. Der Verkauf dieser Ländereien an Privatleute füllte die Schatzkammern des Königs. 1836 mussten die Mönche in Oia gehen. Die Gebäude, die bis zur Desamortisation der Regierung Mendizábel 1835 noch der Kirche gehört hatten, wurden nun von wohlhabenden Kaufmannsfamilien genutzt. Nur die Klosterkirche blieb von der Zwangsübernahme durch den Staat und der anschließenden Privatisierung verschont, denn die wurde noch als Dorfkirche von Oia gebraucht.
Für die neuen Besitzer waren vor allem die billig zu habenden Ländereien von Interesse. Das Klostergebäude selbst wurde zu einer privaten Sommervilla umgebaut, in der man die Ferien verbrachte, wenn es in Madrid im Sommer zu heiß war. Eine Weile kam so ungewohntes Leben in die ehemaligen Klostermauern. Doch was vorher mühsam und verantwortungsbewusst gepflegt worden war, verkam nun immer mehr. Die Instandhaltung des enormen Komplexes war viel zu teuer, und so ließ man der Natur mehr oder weniger ihren Lauf.
Als Portugal Republik wurde verwies man die Jesuiten des Landes. Einige von ihnen mieteten daraufhin das ehemalige Kloster in Oia, nahe der Grenze, von den privaten Besitzern. Für kurze Zeit, zwischen 1910 und 1923, kehrte also wieder klösterliches Leben in die Mauern zurück. Sogar eine Schule und ein Hospital richteten die Mönche ein. Doch 1932 wurde auch Spanien zur Republik und die Jesuiten wurden auch hier vertrieben. Die junge spanische Republik gab das Kloster jedoch nicht an die Besitzer zurück, sondern öffnete die Tore für die Allgemeinheit. Da die meisten Dorfbewohner ziemlich arm waren, nahm man mit, was man brauchen konnte. Jeder bediente sich an den Steinen des Klosters.
Kurz darauf begann der Spanische Bürgerkrieg. Eine schlimme Zeit im ganzen Land. Franco nutzte das Gebäude im äußersten Winkel Spaniens als Gefangenenlager für republikanische Gegner. In Oia gab es zwei Arten von Gefangenen. Wer irgendwie nachweisen konnte, kein „überzeugter“ Republikaner zu sein, wurde „umerzogen“ und freigelassen. Wer jedoch mit einem militärischen Rang oder als Anführer auf republikanischer Seite gekämpft hatte, blieb hier. 4.500 Gefangene, Anarchisten und Republikaner, hausten unter schlimmsten Bedingungen. Die Menschen hungerten. Zu essen gab es meist nur eine dünne Kastaniensuppe. Viele Krankheiten und Durchfall grassierten, weil die Gefangenen in ihrem Hunger Algen oder kleine Krebse von den Felsen aßen. Viele von ihnen starben.
Im ersten Stock des Klosters zeugen noch heute an die Wand gekitzelte Zeichnungen von der Not, die diese Menschen hier erlitten. Nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs gab man den Gebäudekomplex dann an die ursprünglichen Besitzer zurück. Die versuchten jedoch nur noch das Kloster zu verkaufen, möglichst schnell, egal wie billig. Doch nach alldem was hier passiert war, wollte niemand das Gemäuer haben. Der Zustand des ehemaligen Klosters war traurig. Schließlich interessierten sich Investoren für die Anlage und planten ein Luxushotel daraus zu machen. Sie scheiterten an bürokratischen Hürden. Es fehlten die passenden Genehmigungen. So gaben sie auf und verkauften wieder.
Mit den Führungen durch das Kloster versuchen die heutigen Besitzer die Instandhaltung der riesigen Anlage zu finanzieren. Wenigstens so lange, bis klar ist, was aus dem altehrwürdigen Gebäude, das so viele Geschichten miterlebt hat, einmal werden soll …
Infos Kloster Oia
Das Kloster liegt zwischen A Guarda und Baiona, direkt an der Küste. Der portugiesische Jakobsweg führt direkt vor der Tür des Klosters vorbei. Die geführten Besichtigungen durch das Klosters kosten 5 Euro. Auf der Website erfährst Du, wann diese Führungen stattfinden und kannst dort auch gleich die Tickets buchen. Die Kirche aus dem zwölften Jahrhundert, die ja zum Dorf gehört und sich nicht in privatem Besitz befindet, ist nur bei Gottesdiensten geöffnet. Dann ist der Eintritt natürlich frei.
Mosteiro Santa María de Oia
Rúa do Párroco Don Claudio Rodal Fandiño, 5
36794 Oia
Website: www.mosteirodeoia.com
Von Oia aus führt der Jakobsweg an der Küste entlang bis nach Baiona. Dabei kommt man an dem rot-weiß geringelten Leuchtturm Faro de cabo Silleiro vorbei, den man aber leider nicht besichtigen kann. Aber schön ist er trotzdem.
Dieser Artikel ist im Zusammenhang mit meiner Wanderung auf dem Jakobsweg entstanden, bei dem das nette Team von El Camino con Correos meinen Gepäcktransport und einige der Unterkünfte organisiert hat. Vielen Dank dafür!
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