Einen ganzen Monat lang war ich gerade in Andalusien unterwegs ohne auch nur einmal das Meer zu sehen. Das war aber auch gar nicht meine Absicht. Ganz im Gegenteil. Obwohl ich das Meer liebe, wollte ich weg von den Stränden, denn egal ob Mittelmeer oder Atlantik, in Spanien sind fast alle Orte, die nah an der Küste liegen, längst touristisch überentwickelt. In Deutschland haben die meisten Menschen heute schon von der Costa del Sol oder der Costa de la Luz gehört. Viele waren sogar selbst schon dort. Aber weit weniger Menschen machen sich die Mühe, das Land abseits der Strände kennenzulernen.
Hast Du schon von Écija oder Puente Genil gehört? Warst Du schon mal in Gorafe, in Olvera, Osuna oder Estepa? Wußtest Du, dass das Anschalten der Weihnachtsbeleuchtung in vielen Orten feierlich zelebriert wird? Oder hast Du schon eine Zambomba miterlebt? In Jerez feiert man die Adventszeit nämlich traditionell mit Musik und Tanz in den Höfen und inzwischen auch auf den Straßen. All diese Orte und viele mehr, habe ich in den letzten Tagen und Wochen erkundet. Ich bin durch Naturparks gewandert, auf Burgen geklettert, bin den Spuren, die die jüdische und maurische Kultur in Andalusien hinterlassen haben gefolgt und ich durfte ganz nebenbei jede Menge lokale Spezialitäten probieren.
Wenn Du meine Artikel schon länger liest, weißt Du ja, dass gutes Essen in meinem Leben eine wichtige Rolle spielt. Ich esse gern, am liebsten in Gesellschaft, und auf Reisen gehört es für mich dazu, regionale Produkte zu finden und zu probieren. Da ich kein Fleisch mag, ist das manchmal nicht ganz so einfach, aber ich muss ja nicht alles selbst essen. Der Schatz unterstützt mich tatkräftig bei der kulinarischen Recherche und hat in Almodovar del Rio einen Flamenquín probiert, während ich mich durch klösterliches Gebäck, Polvorones und Mantecados, Aldeanas und Bienmesabes geschlemmt habe.
Besonders viel Spaß haben mir die Wanderungen gemacht. Leider viel zu wenige, aber dafür weiß ich jetzt, wo ich demnächst überall noch wandern gehen will. Der Torcal de Antequera war der erste Naturpark, der mich umgehauen hat. Dann kam der Geopark Granada und ich war schlichtweg sprachlos vor Staunen. Aussichtspunkte, bei denen einem die Spuke wegbleibt, so unglaublich schön und einzigartig.
Weite Teile des nördlichen und zentralen Andalusiens sind von Olivenhainen bedeckt. Wobei Hain wohl kaum noch die treffende Bezeichnung sein dürfte. Olivenbäume machen weite Teile der Kulturlandschaft aus, hügelauf und hügelab säumen sie die Straßen und reichen so weit das Auge reicht, bis zum Horizont. Wahnsinn. Gerade jetzt im Winter ist Erntezeit. Hochsaison für die Olivenbauern, von denen viele gerade dabei waren, die Früchte zu ernten. Nicht alle Olivensorten werden im November geerntet, aber es waren doch recht viele Traktoren und Erntefahrzeuge unterwegs zu den Ölmühlen, denn einmal gepflückt, muss die Olive schnell verarbeitet werden. Ich hatte auch das Glück schon ein erstes frisches Öl aus diesem Jahr zu probieren, so lecker! Bei Öl ist es nämlich nicht wie beim Wein, sondern genau umgekehrt, je frischer, umso besser!
Auch die Orangenernte steht im Winter an. In der Nähe von Sevilla gibt es eine kleine Region, in der Zitrusfrüchte besonders gut gedeihen. Dort habe ich einen Orangenbauern getroffen, der sich auf Bitterorangen spezialisiert hat, die er ökologisch und biodynamisch anbaut. Außer süßen und bitteren Orangen habe ich dort so viele unterschiedliche Zitronensorten kennengelernt, dass mir beinah schwindelig geworden ist. In Spanien wachen neben Tigerzitronen und der Hand des Buddha, die du vielleicht schon mal in Asien gesehen hast, auch kleine Kaviarzitronen und sogar Drachenfrüchte!
Neben Orangen und Olivenöl dürfen auch Käse und Wein auf einer kulinarischen Andalusienreise nicht zu kurz kommen. Ich habe Käsereien und Weingüter besucht, in Málaga süßen Wein getrunken und mich in Jerez zum Thema Sherry und Fino schlau gemacht.
Natürlich habe ich auch Córdoba, Málaga, Sevilla und Granada wieder einen Besuch abgestattet, immer auf der Suche nach dem etwas anderen Plätzchen, nach Menschen und echten Begegnungen. In Jerez habe ich die Flamencotänzerin Carmen kennengelernt, ein toller Mensch! Vielleicht melde ich mich sogar zu einem Online-Kurs bei ihr an. In Córdoba habe ich einen der letzten Silberschmiede getroffen, der noch die jahrtausendealte Handwerkskunst der Filigrana Cordobesa beherrscht. Neben Manuela, die auf der Plaza de la Corredera in Córdoba ihre Esparto-Waren verkauft, habe ich auf einem kleinen Stühlchen gesessen und lange mit ihr geredet. Die Schrifstellerin Laura, deren Bücher von den Kulturen handeln, die Granada geprägt haben, hat mir ihre Heimatstadt auf eine ganz besondere Art und Weise gezeigt. Überall in Andalusien erinnert noch vieles an das maurische Erbe, die Sprache, traditionelle Gerichte oder die ganz besondere Bauweise. Auch die Menschen selbst tragen die Gene ihrer Vorfahren in sich.
Unabhängig von jeder Religion ist Andalusien ein bunter Mix verschiedener Kulturen. Besonders nachhaltig ist mir Gonzalo aus Granada im Gedächtnis und im Herzen geblieben. Wir haben lange über Toleranz und Offenheit, über Genügsamkeit und Gier philosophiert. Hauptberuflich kümmert der Restaurateur sich um die Erhaltung der jahrtausendealten Kunstwerke der Alhambra. In seiner kleinen Werkstatt im Albaicín teilt er sein Wissen und seine Erfahrung mit Menschen aus aller Welt, gibt Kurse für Schulkinder und nimmt sich die Zeit, mit Besuchern seines kleinen Ladens zu reden, Gedanken auszutauschen. Wir unterhalten uns über das Leben und die Kulturen, die seine Stadt geprägt haben. Während ich dem Andalusier zuhöre, spüre ich in jedem Satz seinen Respekt und seine Hochachtung für das, was die Erbauer der Alhambra vor vielen hundert Jahren erschaffen haben.
Das berühmteste maurische Bauwerk Andalusiens ist so viel mehr als nur schöne Dekoration und grüne Patios. Die Räume sind hell und freundlich und dennoch so gestaltet, dass es in ihnen auch an heißen Sommertagen angenehm frisch bleibt. Die Schriftzüge an den Wänden erzählen von Versen aus dem Koran, aber auch von Liebe und Frieden. Die Alhambra ist das Gesamtkunstwerk einer längst vergangenen Zeit. Sollten wir uns heute nicht manchmal fragen, ob wir nicht die eine oder andere Idee unserer Vorfahren aufgreifen und uns zunutze machen könnten? Gonzalo meint, die Menschen bauten damals für die Ewigkeit. Die kostbarsten Baumaterialien waren gerade gut genug, denn ihre Paläste sollten die Jahrhunderte überdauern.
In meinem Kopf hallen Lauras Erzählungen von der klugen Hafsa nach, einer maurischen Poetin, die das Ende der Almoráviden Herrschaft und den blutigen Beginn des Kalifats der Almohaden miterlebt und darüber geschrieben hat. Andalusien war wunderschön. All diese Gespräche wirken jetzt, wo ich wieder zu Hause an meinem Schreibtisch sitze, in mir nach. So viele Erlebnisse wollen aufgeschrieben und weitererzählt werden. Den Winter über werde ich noch viele Geschichten zu erzählen haben.
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