Während ich auf den engen Straßen, die sich dicht an kleine grüne Hügel schmiegen, entlang fahre, bin ich fast schon betrunken von dieser wunderschönen Landschaft. Die letzten Blätter der Weinreben haben schon herbstliche Töne angenommen und leuchten goldgelb im Sonnenschein. Angeblich soll Henri Matisse hier in Collioure den Fauvisme „erfunden“ haben. Dass dem Maler genau hier ein Licht aufgegangen ist, wundert mich kein bisschen.
Henri Matisse ist, wie ich in der Maison de Fauvisme erfahre, erst auf Umwegen zur Malerei gekommen. Auf einer Reise nach Collioure hat diese Landschaft seinen Malstil nachhaltig verändert. Die Farben, das Licht, die Menschen haben ihn so sehr beeindruckt, dass er begann, seine Emotionen aufs Papier zu bringen. Der Fauvisme war geboren. Cléo, mein Guide, erklärt mir, dass die Fauvisten die Welt nicht malten, wie man sie mit den Augen sieht, sondern so, wie sie sie fühlten. Bunte, kräftige Farben und leichte Striche leuchten dem Betrachter von ihren Gemälden entgegen. Sie strahlen geradezu eine einfache, natürliche Lebensfreude, ein mediterranes Lebensgefühl aus. Matisse und die anderen fauvistischen Künstler haben seit Collioure die üblichen Lichttechniken der Malerei über Bord geworfen und mit einer mitreißenden Leidenschaft ihre Umwelt auf der Leinwand festgehalten.
Bei einem kleinen Spaziergang durch das ehemalige Fischerdorf finde ich überall Kopien fauvistischer Gemälde. Mit einem kleinen Text versehen, sind sie hier und da an den Mauern und Wänden angebracht, sodass man Collioure praktisch durch die Augen der Fauvisten entdecken kann.
Fischerboote liegen schon lange nicht mehr im Hafen von Collioure. Vorbei ist die Zeit, in der die Fischer hier ihre Netze in der Sonne trockneten und die traditionellen Fischerboote, die barques catalanes, am Strand lagen. Die Fischerei ist dem Tourismus gewichen, aber langsam und behutsam genug, um das dörfliche Ambiente Collioures zu erhalten.
Als ich heute früh am Morgen in Collioure angekommen bin, war der kleine Ort noch nicht ganz erwacht. Während die Straßenkehrer die Blätter zusammenfegten und die Fahrbahn mit Wasser reinigten, ging hinter dem Hügel gerade die Sonne auf. Allein schon dieser Blick auf den erwachenden Hafen ist ein schöner Willkommensgruß.
Jetzt im Mittag sitze ich auf einer der Bänke am Strand und blicke aufs Meer. Die morgendlichen Wolken haben sich verzogen und der Himmel leuchtet sauber und klar. Links von mir steht die wunderschöne Kirche Notre Dame des Anges mitten im Hafen. Der alte Leuchtturm wurde einfach als Kirchturm umfunktioniert und ist so etwas wie ein Wahrzeichen des kleinen Ortes geworden. Rechts erhebt sich die mächtige Burg, das Château, das unter der Herrschaft der Grafen von Barcelona gebaut worden sein soll. Collioure und das Roussillon gehörten während des Mittelalters noch zu den katalanischen Grafschaften.
Ich bin wirklich überrascht, wie präsent die katalanische Kultur hier ist. So nah an der Grenze entdecke ich überall im „pays catalan“ noch Anzeichen katalanischer Bräuche. Ganz offenbar hat sich die Kultur hier genauso gehalten, wie südlich der Pyrenäen. Auch hier tanzt man Sardanas und baut Menschentürme. Natürlich sprechen die Leute mittlerweile Französisch, zumindest seit Beginn des letzten Jahrhunderts. Doch unter den über 60jährigen findet man auch heute noch Einwohner, die Katalanisch sprechen.
Auch in der kleinen Anchovisfabrik Roque treffe ich wieder auf Spuren dieser Gemeinsamkeiten. Dies und jenseits der Grenze wachsen die Ausläufer der Pyrenäen ins Meer hinein. Die Küste ist im südlichsten Zipfel Frankreichs ähnlich rau und wild, wie die Costa Brava, nur dass die Felsen hier rötlicher sind. Und zu den kulinarischen Spezialitäten der Côte Vermeille gehören auch hier die leckeren Anchovis.
Eine der letzten beiden Anchovis Fabriken in Collioure ist die Maison Roque. Monsieur Roque und seine Familie bereiten die traditionellen Anchovis dort noch genauso zu, wie das schon sein Großvater vor über hundert Jahren gemacht hat. Guy Roque hat es geschafft, das kleine Familienunternehmen erfolgreich in die heutige Zeit zu bringen. Wahrlich kein einfaches Unterfangen. Doch der liebenswerte Monsieur und seine Frau sind mit viel Herzblut bei der Sache. Unermüdlich arbeitet die ganze Familie hier mit vollem Einsatz. Das ganze Jahr über.
Im Stockwerk über dem Laden befindet sich heute eine Art Ausstellungsfabrik für die Besucher. Die eigentliche Herstellung ist vor ein paar Jahren in ein modernes Gebäude am Ortsrand umgezogen. Wie in L‘Escala kommen auch hier die Anchovis nicht mehr aus dem Mittelmeer. Das ist nämlich längst zu warm und zu planktonarm. Die Fische erreichen einfach nicht mehr die richtige Größe, um zu Anchovis verarbeitet zu werden.
Aber auch wenn die Sardellen heute aus dem Atlantik kommen, das Prinzip ist noch immer dasselbe. Von Hand werden die Fische gesalzen, eingelegt und nach einer mehrmonatigen Lagerung schließlich in Gläser verpackt. Fasziniert kann ich den flinken Fingern zweier Damen zusehen, die gerade dabei sind, die Anchovis zu zerlegen. Neben steht ein kleiner gedeckter Tisch. Hübsch drapiert gibt es da neben den diversen Anchovis-Produkten auch einen Probierteller. Jetzt erst merke ich, wie hungrig ich bin! Doch zum Glück lädt Monsieur mich ein, die Anchovis zu probieren. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Und – ganz ehrlich – sie schmecken sogar noch besser als die aus l‘Escala. Aber nicht weitersagen.
Infos zu Collioure
Château Royal de Collioure:
Schon im frühen Mittelalter stand an dieser Stelle eine Burg. Die ersten Menschen liessen sich sogar schon lange vor der Ankunft der Griechen und Römer auf dem steinigen Felsen nieder. Sie sollen in Höhlen gelebt haben, die heute irgendwo unter der Burg verschwunden sind.
Im 12. Jahrhundert geht die Burg, die bis dahin dem Grafen des Roussillon gehörte, in den Besitz des Grafen von Barcelona, Alfons des Keuschen, über. Als Sohn Ramon Berenguers IV ist Alfons nicht nur Graf von Barcelona, sondern auch König von Aragon. Unter Pere dem Katholischen bauen die Tempelritter die Burg dann zu einer mächtigen Festung aus. Später sorgen die Rois de Majorque, immer noch aus dem Hause Barcelona, dafür, dass das gut befestigte Collioure einer der bedeutendsten Häfen des 13. Jahrhunderts wird. Nach ein paar gewonnner Schlachten und durch strategische Hochzeiten vereint das Königshaus von Kastilien schließlich die diversen kleineren Reiche der Iberischen Halbinsel unter seiner Fahne. Mit Katalonien-Aragon wird also für kurze Zeit auch Collioure zu einem Teil Kastiliens.
Während der Guerra dels segadors im 16. Jahrhundert wird der Hafen blockiert und die Burg von den Franzosen belagert. Zu den schließlich siegreichen Truppen des französischen Königs Louis XIII gehören übrigens auch D‘Artagnan und die Musketiere. Die Auseinandersetzung zwischen Spaniern und Franzosen enden mit dem Pyrenäenfrieden 1659, der einen Schlussstrich unter die kriegerischen Auseinandersetzungen zieht. Spanien muss nicht nur Collioure, sondern das gesamte Roussillon an die französische Krone abtreten.
Vauban*, der Festungsbaumeister Louis XIII, will den ganzen Ort umsiedeln, da er die Burg und den Hafen in der bisherigen Lage nicht entsprechend den neusten Anforderungen der modernen Festungstechnik umbauen kann. Doch der kleine Ort Collioure, der im Laufe der Jahrhunderte zu Füßen der Burg entstanden ist, will gar nicht umgesiedelt werden. Letztendlich fallen nur ein Teil der mittelalterlichen Siedlung und die romanische Kirche den Bauplänen Vaubans zum Opfer. Da Vauban den Hafen verlegen will, braucht man den Leuchtturm in Collioure wohl nicht mehr. Die trotzigen Einwohner, die in Collioure bleiben wollen brauchen eine neue Dorfkirche. Weil die alte Kirche abgerissen wurde, bauen sie eine neue Kirche um den alten Leuchtturm herum, Notre Dame des Anges.
Notre Dame des Anges – das Wahrzeichen Collioures
Gegen Ende des Spanischen Bürgerkriegs, während der Retirada, spielte die Festung noch einmal eine traurige Rolle. Die vor den Truppen Francos geflüchteten Republikaner wurden auf französischem Boden festgenommen und in die Konzentrationslager von Argelès-sur-Mer und Rivesaltes gesteckt. 1939 diente die Burg in Collioure als Gefängnis für spanische Flüchtlinge.
Château Royal de Collioure
Quai de l’Amirauté
66190 Collioure
Wenn Du die Burg besichtigen willst, kostet das 4 Euro Eintritt.
(*Buchempfehlung: Der Untergang Barcelonas von Albert Sánchez Piñol. Mega spannend und toll geschrieben. Wenn Du das gelesen hast, verstehst Du auch die Bedeutung Vaubans.)
Antonio Machado:
Auf dem kleinen Friedhof befindet sich das Grab Antonio Machados, eines bedeutenden, spanischen Dichters. Als überzeugter Demokrat gehörte Machado zu den geflüchteten Spaniern, die sich gerade noch über die Grenze hatten retten können. Gemeinsam mit seiner Mutter war Machado vor Francos Truppen geflohen. Bereits schwer krank hatte er Glück und konnte mit dem Zug über die Grenze gelangen. Doch nach wenigen Wochen starb der Dichter in Collioure. Sein Grab ist zu einem regelrechten Pilgerort für viele Spanier geworden.
Maison de Fauvisme:
Cléo ist nicht nur mein Guide durch Collioure, sondern auch Fauvisme Spezialistin. In der Maison de Fauvisme erklärt sie die Geschichte der fauvistischen Malerei und gibt sogar Kurse für die Besucher. Du kannst einfach mal vorbeigehen und Dich dort umsehen. Auch wenn die Maison de Fauvisme in den Wintermonaten geschlossen ist, finden die Stadtführungen das ganze Jahr über statt.
Maison de Fauvisme
10, rue de la Prud’homie
66 190 Collioure
Die Preise der Stadtführungen liegen um die 7 bis 9 Euro pro Person. Genauere Infos findest Du auf der Website: maison-du-fauvisme
Anchovis Roque
17 rte d’Argelès
66190 Collioure
Website www.anchois-roque.com
Termine des alljährlichen Anchovis-Festes und noch andere Infos findest Du hier: gastronomie-et-degustations Apropos Gastronomie: Ganz nebenbei habe ich natürlich auch den Wein hier gekostet. Die D.O. Collioure sind für französische Weine relativ schwer, aber genau mein Geschmack. Solltest Du unbedingt probieren!
Hinweis: Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Blogtrips, zu dem ich von Tourisme Occitanie eingeladen wurde. Meine Begeisterung für diese Gegend ist davon wie immer unbeeinflusst und beruht einzig und allein auf meiner ganz persönlichen Liebe zu diesem Stückchen Land.
Hinterlasse einen Kommentar