Die Lippen rot gemalt, die Haare perfekt frisiert, die Sonntagskleider aus dem Schrank gesucht und sogar den echten Schmuck haben sie heute angelegt. So fein gemacht sitzen die älteren Damen seit zwei Stunden auf dem Platz vor dem Rathaus. Freudig aufgeregt warten sie auf den großen Moment des Jahres, die Dansa de les Almorratxes.
Die Sonne brennt unbarmherzig vom Himmel, obwohl eigentlich Regen angesagt war. Mit Fächern wedelt man sich frische Luft zu. Haltung bewahren. Dann ist es endlich so weit. Die wichtigsten Köpfe der Obreria de la Santa Cristina und der Bürgermeister nehmen Platz auf der Ehrentribüne, einer einfachen Stuhlreihe gegenüber dem Rathaus. Während die Kapelle zu spielen beginnt, werden die vier auserwählten jungen Damen am Arm eines Obreros zu ihren männlichen Begleitern geführt. Normalerweise ist es der Bruder, manchmal auch ein Verlobter oder guter Freund, der dort wie ein Bräutigam am Hochzeitstag, wartet.
Was ist eine Obrera?
Die Mädchen, die ein ganzes Jahr lang das Amt der „Obrera“ bekleiden, werden von einer Jury extra für diesen ehrenvollen Titel ausgewählt. Traditionellerweise stammen sie aus Lloret und dürfen nur zwischen 16 und 22 Jahre alt sein, nicht jünger aber auch nicht älter. Die Auswahl ist hart und es gibt sehr viele Bewerberinnen. Die Hauptaufgabe der vier Mädchen besteht eigentlich darin, sich um die Kirche der Obreria, die Ermita Santa Cristina, zu kümmern. Während eines Jahres sind sie unter anderem für solche Dinge wie den Blumenschmuck in der Ermita verantwortlich. Neben ein paar anderen Aufgaben, die sie in dieser Zeit als Obreras zu erfüllen haben, verpflichten sie sich bei Amtsantritt auch dazu, am 24. Juli den traditionellen Tanz vor dem Rathaus, die Dansa de les almorratxes, aufzuführen.
Die älteren Damen erinnern sich an diesen Tag wie an den eigenen Hochzeitstag. Für sie war und ist dieses Fest einer der bedeutendsten Momente im Leben. Aber auch für die Mädchen heute ist es noch immer eine große Ehre, zu den vier Auserwählten zu gehören. Das gesellschaftliche Ansehen ist hoch und die Begeisterung der jungen Frauen, eine Obrera zu sein, scheint ähnlich groß, wie im Fernsehen bei einer der vielen Superstar-Sendung aufzutreten.
In schönsten Ballkleidern feiern die jungen Damen diesen Tag und ihren ganz großen Auftritt. Kaum betreten die Mädchen Platz, ertönt in der jeweils einen oder anderen Fankurve lauter Beifall. Die Menge klatscht und jubelt! Am Arm eines älteren Obreros, drehen sie erst einmal eine Runde auf dem Platz, damit sie auch wirklich von jedem gesehen, und die Kleider angemessen bewundert werden können. Ein langes Kleid ist nämlich ein absolutes Muss und das, obwohl es Zeiten gab, in denen sich die meisten Leute teure Kleider und schwarze Anzüge schlicht und einfach gar nicht leisten konnten. Da mussten dann die Obreras, die ein langes Kleid hatten auch mal zwei Jahre in Folge tanzen.
Ein ganzes Jahr lang haben sie für diesen Moment trainiert. Unter fachkundiger Anleitung haben sie die uralten Tanzschritte und Bewegungen geübt, bis alles perfekt sitzt. Hochkonzentriert, würdevoll und damenhaft bewegen sie sich über den Platz. Dann geht es los. Die Tänze sehen eigentlich nicht sonderlich kompliziert aus. Zu einer Musik, deren Ursprung man in Zeiten vermutet, in der die Küste unter arabischem Einfluss stand, drehen sich die Paare in einem gediegenen Reigen. Es ist eine sich wiederholende Folge aus langsamem Schreiten, Knicksen und vielen Verbeugungen. Der Höhepunkt des Ganzen wird der Moment sein, in dem die Damen inmitten des Platzes kleine Glasgefäße, die almorratxes, auf dem Boden zerschlagen.
Die Legende:
Zu diesem Tanz gibt es natürlich auch eine Legende. Die stammt noch aus der Zeit, in der die Orte an der Costa Brava von grausamen Piratenüberfällen heimgesucht wurden. Die politische Korrektheit dieser Legende lassen wir mal außen vor. Nach heutigen Maßstäben würde sie nicht gerade als ein Beispiel für Toleranz und multikulturelles Miteinander gelten, aber damals war die Geschichte ein Beispiel für Tugendhaftigkeit:
Der Legende nach soll sich vor vielen Jahrhunderten ein reicher Araber in eine junge Frau aus Lloret verliebt haben. Er wollte sie mit nach Afrika nehmen und heiraten. Doch das Mädchen war eine gläubige Christin und wollte von den Avancen des maurischen Verehrers nichts wissen. Sie lehnte seine Geschenke ab und warf ihm ein wertvolles Glasgefäß mit Parfümöl vor die Füße. Nach diesem Vorfall soll der ungeliebte Verehrer abgereist sein. Die junge Dame sei vor Trauer und Scham ins Kloster gegangen, erzählt man sich.
An diese Legende und das „den Flacon vor die Füße schmeißen“ erinnern die vier tanzenden Obreras jedes Jahr am 24. Juli. Es ist der Höhepunkt der Veranstaltungen zu Ehren der Santa Cristina.
Es ist ganz wichtig, dass der Flacon auch wirklich zerbricht, denn dann, so will es die Legende, wird das Mädchen noch innerhalb des nächsten Jahres heiraten können. Bleibt das Glasgefäss heil und zerbricht nicht in tausend Teile, gilt das als ein schlechtes Omen. Das passiert zwar selten, ist aber wohl schon vorgekommen. Damit das nicht passiert und die Fläschchen ganz sicher kaputt gehen, gibt es mitten auf dem Platz ein paar dicke Steine, die sonst nicht hier liegen.
Ich darf den Pärchen vom Balkon des Rathauses zusehen und fotografiere fleißig das Geschehen unter mir. Dunkle Wolken ziehen auf und es wird merklich frischer. Es sieht so aus, als werde das angedrohte Schauer doch noch runterkommen. Das wäre natürlich eine mittlere Katastrophe für die Mädchen. Aber noch hält sich das Wetter und sie tanzen selig lächelnd am Arm des Freundes oder des Bruders ihren Reigen.
Was mich glaube ich am meisten erstaunt, ist die Tatsache, dass eine so alte, sehr christliche Tradition, heute noch so fest im Dorfleben verankert ist. Die Feier, die ja nicht die Stadt, sondern die Obereria de la Santa Cristina jedes Jahr organisiert, ist wirklich der Höhepunkt der Festtage in Lloret de Mar. Im Laufe der Zeit gab es zwar immer mal wieder kleine Veränderungen, aber im Grunde hat sich der Tanz bis heute gehalten. An diesem einen Tag gehört die Stadt wieder ganz seinen Bewohnern. Während die meisten Touristen noch am Strand liegen und von den Veranstaltungen und der Bedeutung dessen, was hier passiert, nicht viel mitkriegen, feiern die Einwohner ihre alten Traditionen.
Als ich in meine Gedanken versunken gerade ein Foto der elegant gekleideten Damen via Twitter mit der Welt teilen will, klirrt es auf einmal laut! Das war der Moment! Ich schaue auf den Platz und sehe nur noch, wie der Müllmann bereits die Scherben zusammenkehrt. Ich habe den Höhepunkt verpasst! Das gibt es doch nicht! Doch die Mädchen tanzen schon wieder.
Statt der braven Verbeugungen besteht der nächste Tanz aus lustigen, schnellen Schritten. Es ist ein ausgelassenes Hüpfen und Laufen. Erst zu zweit, dann zu viert und schließlich drehen alle acht in einer schnurgeraden Reihe in schnellem Tempo ihre Runden!
Toquen a Córrer
Zum Schluss tanzen sie noch gemeinsam eine Sardana und verabschieden sich mit einem braven Knicks vor den wichtigen Köpfen der Obereria. Dann ist der große Tage vorbei. Und in vierzig Jahren sitzen diese Mädels dann auch auf den Zuschauerplätzen und begutachten die neuen, jungen Obereras. Stolz und vielleicht mit ein wenig Wehmut werden sie es dann diejenigen sein, die sich an das Jahr erinnern, in dem sie selbst zu den Auserwählten gehörten haben.
Sardana
Infos zur Dansa de les almorratxes :
Die Dansa de les almorratxes oder auch Ball de Plaça, findet jedes Jahr am 24. Juli, dem Tag der Santa Cristina, statt. Organisert wird das Fest von der Obreria de la Santa Cristina. Noch ein paar Infos zu diesem alten Brauch (auf Englisch und Katalanisch) findest Du hier:
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