Nachdem wir mit dem Rad bereits Katalonien durchquert haben, treffen wir nun auf den Camino Aragonés. Im Mittelalter war der Aragonesische Weg nach Santiago de Compostela, der meistgenutzte Weg durch die Pyrenäen. Angeblich wird die Route, die durch Jaca und Arrés führt, schon im Jakobsbuch beschrieben. Wir kommen allerdings nicht aus Frankreich, sondern aus Barcelona und stoßen in der Ebene von Huesca auf diesen Zweig des Camino.

gelber pfeil zeigt nach santiago

Die Ebene von Huesca:

Gefühlt wird die Landschaft mit jedem Tritt in die Pedale ein bisschen trockener. Die einzelnen Dörfer sind immer weiter voneinander entfernt. Ab und zu entdecken wir einen einsam gelegenen Schweinemastbetrieb in der Dürre. Ansonsten ist der Unterschied zur Landschaft in Katalonien erstmal noch nicht so groß. In der “Franja de Ponent”, dem westlichen Streifen von Aragón, der an Katalonien angrenzt, wird sogar noch Katalanisch gesprochen.

Vom Camino Aragónes gibt zwei Varianten – einer führt über Huesca, der andere über Zaragoza. Unsere erste Überlegung war, den Weg über Zaragoza zu nehmen, denn die Landschaft im südlichen Aragón ist um einiges flacher als im nördlichen, an die Pyrenäen grenzenden Teil. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass unser Weg uns im Spätsommer durch die Monegros Wüste führen würde, haben wir uns dann doch für Huesca entschieden. Auch wenn es ein wenig steiler in die Vorpyrenäen hinauf ging.

weit und breit nichts - huesca ebene camino aragones

Schon allein bei der Erinnerung an Aragón werde ich durstig. Es soll einer der härtesten Jakobswege sein, wurden wir oft gewarnt. Die Strecken, die wir mit dem Fahrrad zurückgelegt haben, schienen uns ohne jeglichen Schatten, ohne Dörfer, ohne Trinkbrunnen, unendlich lang. Wenn der Weg uns schon mit dem Rad so weit vorkam, möchte ich gar nicht wissen, wie hart das zu Fuß ist.

Es gab Strecken, die über viele Kilometer nur durch staubige Wüstenlandschaft führten. Einmal war die Erde sogar so staubig, dass unsere Fahrräder davon gebremst wurden!

camino aragonés - jakobsweg landschaften

jakobsweg in aragon - durch die wueste

Von Katalonien aus fuhren wir also über Tamarite de Litera nach Monzón, und von dort aus Richtung Huesca. Alle Dörfer Aragóns scheinen auf kleinen Hügeln zu liegen. Ich kann mir vorstellen, dass es früher einfach schwieriger, die hoch gelegenen Siedlungen zu erobern. Wer will schon mit einer schweren Metallrüstung so einen Berg hinauflaufen? Ich bestimmt nicht. Weil die Gegend so trocken ist, dass im Sommer sogar die Flüsse austrocknen, haben die meisten Dörfer einen eigenen Wassertank für Notfälle.

Berbegal – wo Pilger willkommen sind:

Eines der Dörfer, die mir am meisten in Erinnerung geblieben sind, ist Berbegal. Als wir dort ankommen, fahren wir im Dorfeingang an einer Art Kneipe vorbei. Mein Leiden steht mir wohl im Gesicht geschrieben, denn einer der dort versammelten Opis hilft mir, mein Fahrrad zu schieben.

Er stellt sich vor: Rafa heiße er. Und Rafa erzählt uns, dass die Herberge im Dorf schon seit Längerem geschlossen ist. Er sei aber dafür bekannt, Pilger bei sich zu Hause aufzunehmen, denn er ist früher selbst auf dem Jakobsweg gepilgert. Also lädt er uns in sein Haus ein. Netterweise dürfen wir in seinem Garten, unter einem Dach aus hoch rankendem wilden Wein, unser bescheidenes Mittagessen kochen.

Dann bringt er uns noch eine Tasse Kaffee und zeigt uns bei einem Rundgang das ganze Haus. In einem der vielen Zimmer hortet er antike und skurrile Gegenstände. Eines davon, ein metallenes Gefäß, hielten die Männer in früheren Zeiten unter das Kinn, wenn sie sich den Bart rasierten. Don Quijote soll diese merkwürdige Schale mit einem Helm verwechselt haben. Besonders stolz ist Rafa auf seinen Keller. Tempelritter haben früher in dieser Gegend gelebt und sollen hier ihre Schätze verborgen haben. Ich lasse Andreu den Vortritt, denn der Keller ist dunkel und die Treppe ist steil. Aber schließlich traue ich mich auch, obwohl mir dieses dunkle Loch wie ein Dungeons & Dragons Kerker vorkommt.

bolea - spanische antike gegensstaende

Als die Mittagshitze nachlässt, zieht es uns weiter. Wir übernachten in Pueyo de Fañanás, wo uns eine alte Omi namens Maruja den Schlüssel zur Pilgerherberge gibt. Andreu und ich sind in dieser Nacht die einzigen Pilger dort. Abends trinken wir in der einzigen Bar unser wohl verdientes Bier. Das ganze Dorf hat sich hier versammelt, denn es ist der Haupttreffpunkt und jeden Abend wird gemeinsam Bingo gespielt. Auch die Kinder aus dem Nachbarort sind da. Insgesamt sind wir ungefähr 10 Menschen. Obwohl die Altersunterschiede groß sind, hängen hier alle zusammen ab, die fast volljährigen Punker mit den kleinen frechen Zehnjährigen. Irgendwie doch rührend.

blumen in bolea auf dem jakobswseg in aragon

bolea in aragon ein dorf fuer pilger

Am nächsten Tag durchqueren wir den Ort Bolea – ein kleines Dorf mit einer riesigen Strohdach-Veranda, perfekt für einen Mittagsbreak. Von dort geht weiter Richtung Loarre. Auf dem Weg dorthin kreisen Geier über uns in der Luft. Einige fliegen richtig tief. Es ist ein wenig gruselig. Ich hoffe nur, keiner von denen verwechselt mich mit einer Maus. Dann landet auch noch ein Gleitschirmflieger knapp neben uns.

Als wir in Loarre ankommen, liegt der Campingplatz, auf dem wir übernachten wollen, auf einem Berg, genauer gesagt neben dem Castillo de Loarre. Das sind noch einmal 12 km mit heftiger Steigung, aber ich bin jetzt schon am Ende meiner Kräfte. Bis heute weiß ich nicht, wie Andreu mich da hoch gekriegt hat. Immerhin hatte man von dort oben eine tolle Aussicht auf die ganze Ebene von Huesca.

Camino Aragonés Castillo Loarre Castillo Loarre 

ebene von huesca jakobsweg aragon

Eigentlich führt der Jakobsweg weiter über San Juan de la Peña, hoch in die Berge. Doch mit den schweren Fahrrädern und der Erschöpfung, die wir in den letzten Tagen angesammelt haben, entscheiden wir uns für eine Abkürzung über Ayerbe.

Kurz hinter dem Dorf Arrés, wo in der Herberge kein Platz mehr für uns war, hatte ich ein erstes Schreckerlebnis. Auf dem ganz normalen, offiziellen Jakobsweg, radle ich an einem Hof vorbei und wie so oft höre ich Hundegebell. Doch dann merke ich, dass das Bellen lauter wird und der Hund auf mich zurennt, ohne zu bremsen oder leiser zu werden. Es ist ein riesiger Hund, der bedrohlich aussieht und  schnell immer näher kommt. Ich habe echt Angst. Weiß nicht, ob ich anhalten und absteigen soll.

Absteigen scheint mir zu gefährlich, denn der Hund packt mich von hinten und zieht. Er beißt in meine zusammengerollte Yogamatte, die ich auf den Gepäckträger gebunden habe. Ich fahre so schnell ich kann und halte nach Andreu Ausschau, den ich in der Aufregung irgendwie aus dem Blick verloren habe. Das war echt knapp! Erst als wir in Sicherheit sind, entdecke ich den Bißabdruck des Hundes. Bis heute weiß ich nicht, warum er mich so plötzlich angegriffen hat.

Nach dieser unangenehmen Hundeattacke und ein paar anstrengenden Kilometern kommen wir am Abend endlich in Ruesta an.

Ruesta – ein Dorf in Ruinen:

Das GPS meines Handy behauptet, wir sind da. Doch wir stehen inmitten von Ruinen. Weit und breit nichts. Niemand. Nur viele kaputte, halb verfallene Gebäude und ein paar moosbewachsene Mauern, an denen schon das Efeu rankt. Eine Kirche, von der nur noch die Fassade steht. Holzbalken, die früher Häuser getragen haben. Wir sind in einer Geisterstadt gelandet.

ruinen und truemmmer von ruesta

das verlassene dorf ruesta

Im sowjetischen Film Stalker kommt so eine Landschaft vor. Im Film wird sie “Die Zone” genannt. Eine verbotene und verzauberte Zone in einer postapokalyptischen Zukunft.

Doch eines dieser Häuser hier in Ruesta scheint sich noch einigermaßen gut zu halten. Auf einem Plakat steht etwas wie “CGT – Kulturzentrum”. An einem anderen Haus steht die Tür offen. Etwas das aussieht wie eine Rezeption ist zu erkennen. Wir klingeln. Als niemand kommt, gehen wir hinein. Drinnen gibt es eine Bar und hinten eine Terrasse. Antifa und LGBT+ Flaggen dekorieren die untere Terrasse. Da ist doch jemand! Der Herbergsleiter begrüßt uns und nimmt uns in Empfang. Er erzählt, dass er früher einmal auf Ibiza gewohnt habe. Und was es mit diesem Dorf so auf sich hat.

Ruesta ist eines der fünf Dörfer der Comarca Cinco Villas. Unter Francos Regime wurden in den 60er Jahren viele Stauseen gebaut, unter anderem die Yesa-Talsperre. Für den Bau der Embalse de Yesa wurden die Leute aus Ruesta aus ihren Häusern vertrieben, ihre Äcker und Ländereien unter Wasser gesetzt. Die Casa Valentín und die Casa Alfonso sind die einzigen beiden Häuser, die wiederaufgebaut wurden. Sie dienen heute als Pilgerherbergen und werden von der CGT Gewerkschaft verwaltet.

ruesta - ein dorf auf dem camino aragones

yesa stausse in aragon bei ruesta

 

Meine Tipps für den Camino Aragonés:

  • Wir sind den Camino Aragonés in vier Etappen gefahren: Tamarite de Litera, Pueyo de fañanás, Castillo Loarre und schließlich Ruesta.
  • Auf dem Camino Aragonés gibt es nur wenige, und meist sehr kleine Herbergen. Bei vielen von ihnen kann man vorab reservieren, um sich einen Schlafplatz zu sichern.
  • Pension Casa Galindo in Tamarite de la Litera | C. Sta. Lucía, 5, 22550 Tamarite de Litera, Huesca | 0034 – 974 42 07 24
  • Camping Castillo Loarre Carretera del castillo, s/n, 22809 Loarre, Huesca | 0034 – 609 66 10 58
  • Albergue de Ruesta | 50685 Ruesta, Zaragoza | 0034 – 948 39 80 82
  • Website mit vielen Tipps (auf Spanisch) www.gronze.com