Es ist Spätsommer als wir unser Abenteuer antreten. Der Monat August fühlt sich an wie das Aufwachen nach dem Mittagsschlaf. Alle sind noch im Urlaub und es ist noch zu heiß, um klar denken zu können, aber trotzdem spürt man in der stickigen Luft, dass die lebhaften, langersehnten Sommerferien fast zu Ende sind und sich bald alles wieder pünktlich in den Alltag einordnet. Die Mittsommernacht liegt nun auch etwas weiter zurück, die Sonne macht früher Feierabend.

Eigentlich fängt der klassische katalanische Jakobsweg, der “Camí de Sant Jaume”, an der Küste, am Kloster von Sant Pere de Rodes, an. Danach führt er über Figueres und Girona durch den wunderschönen Empordà, wo er sich teilweise Strecken mit der Pirinexus Route teilt. Von dort aus geht es ins Landesinnere, über Manresa und hinauf zum Montserrat. Ab Cervera gibt es zwei Varianten, über Lleida oder Balaguer, die beide an die Grenze zu Aragón führen. Dort geht der Camí de Sant Jaume als “Camino Aragonés” weiter.

teufelsbruecke jakobsweg barcelona

Wir entdecken den Llobregat

Cardedeu – Collbató

Mir liegt viel daran, meine Pilgerreise schon an der Haustür zu beginnen. Ich will, dass das Abenteuer mein ganz eigener Weg wird. Mit jedem Schritt weg von der mir bekannten Umgebung, geht es ein Schritt weiter ins Abenteuer. Oder eben mit jedem tritt in die Pedale.

felder udn acker

Der Montserrat ist der naheliegendste Punkt von zu Hause aus, aber eben auch eine sehr anstrengende Steigung für den ersten Tag. Also beschliessen wir durch den Vallès Oriental und Occidental bis zum Baix Llobregat zu fahren und erst hinter dem Montserrat auf den Camí de Sant Jaume zu stoßen.

berg montserrat wandern

Das Vallès Occidental und der Baix Llobregat sind eigentlich sehr industriell geprägt – die eher hässliche, urbane Peripherie um Barcelona herum. Zu meiner Überraschung sind wir jedoch fast nur an den Ufern kleiner und großer Flüssen längs gefahren. Erst am Mogent, dann am Besós entlang, der Riera de Rubí, und schließlich dem Llobregat. Dort fangen die gelben Pfeile an, den Weg in das noch ferne Santiago de Compostela zu weisen.

In Martorell treffen wir auf den Pont del Diable – die “Teufelsbrücke”. Zwar deuten einige der Pfeile auf die steile, schmale Brücke, aber sie sieht nicht so aus, als wäre sie mit unseren Rädern befahrbar. Diese Teufelsbrücke steht genau an der Stelle, an der in römischer Zeit eine Brücke die durch den Llobregat getrennten Städte Barcino und Tarraco miteinander verband. Die heutige Brücke liegt fast versteckt im Schatten unterhalb einer riesigen Autobahnbrücke. Wahrscheinlich bin ich schon Tausendmal mit dem Auto auf dieser Schnellstraße entlang gefahren, ohne zu wissen was sich darunter verbirgt. Im Spanischen Bürgerkrieg wurde die Teufelsbrücke gesprengt, später aber wieder aufgebaut. Wir entscheiden uns, einen kleinen Umweg zu fahren.

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Je näher wir dem Montserrat kommen, desto prächtiger sind seine Zacken. Als wir Olesa de Montserrat ankommen, erreichen wir den Fuß des Bergmassivs. Die Ortschaften Olesa und Esparreguera liegen beide am Ufer des Llobregats und waren nur über kleine Boote miteinander verbunden. Erst im letzten Jahrhundert baute man eine Brücke zwischen den beiden Ortschaften. Mit dem Fahrrad ist der mega steile Berg bis Esparreguera hinauf deutlich zu spüren!

Um den Montserrat ranken sich viele Sagen und Legenden, wie die des kleinen Trommlers aus Bruc (“El Timbaler del Bruc”.), wo wir am nächsten Morgen vorbeifahren. Der Legende nach vertrieb das Echo seiner Trommel eine angreifende Armee, als es laut aus den Bergen des Montserrat widerhallte. Heute erinnert am Ortsausgang eine Statue an den tapferen Trommel und seine Geschichte.

montserrat auf dem cami de sant jaume

lina mit fahrrad unterwegs cami de sant jaume

Richtung Lleida

Collbató – Cervera – Balaguer

Als wir den Montserrat hinter uns gelassen haben, geht es langsam in Richtung Lleida. In Castellolí holen wir uns den ersten richtigen Stempel in unsere Pilgerausweis. Wir halten kurz in Igualada, dann geht’s weiter bis Jorba. Als wir gegen drei Uhr dort ankommen, ist dort nicht viel los und Cervera nur 30 km entfernt. Naiverweise erscheint uns das nicht so weit. Da es noch relativ früh ist, fahren wir einfach weiter.

Eine gefühlte Ewigkeit führt der Weg auf einer “Carretera Nacional” entlang. Zum Glück ist der Fahrradweg von den Autos abgetrennt. Viel Verkehr ist hier aber sowieso nicht. Es dauert eine Weile, bis uns endlich eine Menschenseele entgegenkommt, und sogar auch auf dem Fahrrad. Mit einer Gitarre auf dem Gepäckträger!

Der Jakobsweg in Katalonien geht durch Lleida

Edu fahrrad auf dem jakobsweg Katalonien lleida

Edu erzählt uns, er komme gerade aus Lleida und wolle noch am selben Tag bis nach Barcelona. Er macht wie wir gerade eine “Vuelta a la Península”, allerdings fährt er im Uhrzeigersinn, während wir gegen den Uhrzeiger unterwegs sind. Im Gepäck hat er eine Gitarre und eine Schwimmnudel quer auf dem Gepäckträger. Das soll die Autos auf Abstand halten und sie daran hindern, ihm zu nahe zu kommen. Er ist schon seit vier Monaten unterwegs. Bei uns ist es erst der zweite Tag und wir haben noch sehr viel vor.

Ich kann gar nicht genau sagen, wie ich mir die Provinz Lleida vorgestellt habe. Vielleicht ein wenig grüner? Vielleicht nicht ganz so flach? Nicht ganz so verlassen? Bisher kannte ich nur den nördlichen Teil der Provinz, aber die Pyrenäen sind eine ganz andere Nummer, als der südliche Teil.

Außer wuchernden Brombeersträuchern und weiten Feldern mit Apfel- und Pfirsichbäumen, gibt es hier kaum etwas zu sehen. Doch dann taucht zwischendurch immer wieder ein Dorf mit einer imposanten Burg oder einer Festung auf, wie Oasen mitten im Niemandsland, und ich wundere mich, warum ich noch nie zuvor etwas von ihnen gehört habe.

see jakobsweg lleida katalonien

stieg auf dem see in ivars in lleida auf dem jakobsweg mit fahrrad

Am nächsten Morgen lassen wir Cervera mit seiner mittelalterlichen Stadtmauer hinter uns und fahren in Richtung Balaguer. Auf halber Strecke, kurz vor Linyola, kommen wir an einen See, den Estany d’Ivars. Die Wasseroberfläche bewegt sich kaum. Hier herrscht eine ruhige Atmosphäre. Wir beschließen von den Rädern abzusteigen, und dem markierten Weg um den Estany herum zu folgen. Vor uns taucht eine klapprige alte Holzhütte auf. So etwas habe ich schon mal gesehen. In den Aiguamolls gibt es so ähnliche Hütten, um Vögel zu beobachten. Diese hier sieht aus, als hätte sie in 100 Jahren keine Menschenseele betreten. Ein Schild weist darauf hin, dass man leise sein soll, um die Vögel und andere Tiere nicht zu erschrecken.

Als ich die knarrende Tür vorsichtig öffne, ist es in der Hütte ein wenig gruselig und dunkel. Und voller Spinnweben. Durch den Türspalt fällt immerhin so viel Licht, dass ich die “Visierklappe” entdecke. Wir klappen sie hoch und schauen den Vögeln zu. Birdwatching ist schon irgendwie entspannend. Ein Poster an der Hinterwand erklärt die verschiedenen Vogelarten, die es alleine hier an diesem See gibt. Alle leben friedlich zusammen. Diese Vögel haben es gut. Sie können fliegen wohin sie wollen, ohne Grenzen, ohne Pass, ohne Zölle. Doch das Geräusch von Wassertropfen auf dem Dach bringt mich schnell wieder ins Jetzt und Hier: Regenjacken anziehen!

Nach diesem ersten Regenschauer auf unserer Fahrt kommen wir ein nasser als geplant in Balaguer an. Doch der Himmel klärt langsam auf und die Häuser am Segre-Ufer finden allmählich ihre bunten Farben wieder. Der Blick auf den Fluss, mit der alten Brücke und dem grünen Ufer erinnert an eine Postkarte.

Balaguer auf dem Jakobsweg Cami de Sant Jaume in Katalonien

Am nächsten Tag geht es über Algerri und Alfarràs nach Aragón. Eine Art Aquädukt trennt die beiden autonomen Regionen. Es ist die erste Grenze, auch wenn nur eine kleine, die wir überschreiten.

aragon katalonien fahrrad jakobsweg

Meine Tipps für den Camí de Sant Jaume:

Herbergen und Campingplätze am katalanischen Jakobsweg:

  • Montserrat: Alberg de Pelegrins de Montserrat.
  • Cervera: In Cervera haben wir zuerst einen Campingplatz aufgesucht, den wir uns vorher im Internet angesehen hatten (Camping Akelarre). Vor Ort stellte sich aber heraus, dass es nur ein Feld neben einem Spielplatz und einer Sportanlage war, ohne jegliche Anlagen, und dass man auch nur zu bestimmten Anlässen dort campen konnte. Die Pilgerherberge in Cervera hat uns als Pilger aber problemlos aufgenommen.
  • Balaguer: In Balaguer wohnte bei unserer Durchfahrt im August 2021 gerade eine obdachlose Familie in der öffentlichen Pilgerherberge. Für Campervans gibt es einen zementierten Parkplatz (mit Stromanschluss), auf den man sich als Camper kostenlos stellen kann. Im Rathaus wurde uns angeboten, uns ausnahmsweise auch mit dem Zelt dort hinzustellen. Alternativ gibt es in Balaguer auch ein günstiges Hostel.
  • Algerri & Alfarràs: In Algerri und Alfarràs waren die Herbergen aufgrund von Covid-19 geschlossen.
  • Weitere nützliche und aktualisierte Infos zu den Herbergen findest du auf dieser Seite von den Amics del Camí de Sant Jaume. Die stellen auch einen Pilgerpass aus, den man für die Herbergen braucht, und senden ihn per Post zu. 

Mehr Geschichten von unterwegs gibt es bald.