Wusstest Du eigentlich, dass es in Frankreich eine spanische Enklave gibt? Dann wird es heute mal sehr geschichtlich, denn jetzt erzähle ich Dir, wie das alles damals so kam.
Llívia
Eine echte Insel ist die 1000-Seelen-Gemeinde Llívia. Es fällt kaum auf, dass man sich von Puigcerdà kommend, über die französisch-spanische Grenze bewegen muss, um nach Llívia zu kommen. Nur der Straßenbelag und die Farbe der Verkehrsschilder ändern sich. Doch das kleine Dörfchen, umgeben von französischen Territorium, gehört tatsächlich zu Spanien. Llívia ist eine Enklave.
Der hübsche kleine Ort in den Bergen war aber nicht immer so ein abgelegenes Dorf. Vor rund zweitausend Jahren, zur Glanzzeit des Römischen Weltreichs, zählte Iulia Lybica zu den wichtigsten römischen Siedlungen in den Pyrenäen. Von Narbonne aus führte eine Römerstraße hier entlang bis nach Lleida.
Im sechzehnten Jahrhundert verlieh Carlos I, der als erster König über ganz Spanien und damit auch über die Cerdanya herrschte, Llívia sogar die Stadtrechte. Man sollte meinen, das wäre nicht weiter von Bedeutung, doch ungefähr hundert Jahre später spielten diese Stadtrechte eine entscheidende Rolle im Schicksal des kleinen Ortes.
…übrigens:
Die Redewendung „Das kommt mir spanisch vor!“ geht wahrscheinlich auf eben diesen spanischen König Carlos I zurück. Der Habsburger war Enkel der Katholischen Könige Isabella von Kastilien und Fernando von Aragon. Seine Mutter, Königin Juana al Loca, die nominell als Erste alle Titel des heutigen spanischen Territoriums vereinte, war von der Thronfolge ferngehalten worden. Immer mehr Historiker zweifeln jedoch an ihrer angeblichen Verrücktheit und ziehen eine Intrige in Betracht.
Als ihr Sohn Carlos I, der erste gesamt-spanische König 1520 in Aachen auch noch zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt wurde, brachte er als Karl V neben einer fremden Sprache auch ein ungewohntes spanisches Zeremoniell mit an den Hof. Seinen deutschen Untertanen kamen die merkwürdigen Bräuche des neuen Herrschers „spanisch“ vor.
Aber zurück nach Llívia in die Cerdanya. Nach dem Ende des dreißigjährigen Kriegs (1618 – 1648), der halb Europa verwüstet hatte, dauerten die Auseinandersetzungen zwischen Spanien und Frankreich noch fast zehn weitere Jahre an. Erst der Pyrenäenfrieden, el Tractat dels Pirineus, setzte 1659 auch dem Krieg zwischen Spanien und Frankreich ein Ende.
König Felipe IV (1605 – 1665) hatte während der ganz Europa betreffenden Kriegswirren Soldaten aus allen Teilen seines Reiches zusammenziehen lassen. Auf katalanischem Boden, nahe der französischen Grenze, sammelten sich die Heeresteile. Während die Soldaten darauf warteten, in die Schlacht zu ziehen, mussten sie von den Bauern und Dorfbewohnern der Gegend versorgt, untergebracht und ernährt werden. Doch die Menschen hatten selbst kaum etwas zu essen und litten schon lange unter der Feudalherrschaft.
Als zu der Ausbeutung durch die adeligen Landesherren nun auch noch die plündernden Soldaten hinzukamen, die raubten, vergewaltigten und zerstörten, platzte den Leuten der Kragen. Während der Guerra dels Segadors, dem Krieg der Schnitter, erhob sich das einfache Volk auf dem Land gegen die Unterdrückung. Die katalanische Hymne „els segadors“ erzählt noch heute davon.
Katalonien hatte sich zeitweise auf die Seite des französischen Königs Louis XIV geschlagen und wurde zum Schauplatz zahlreicher Schlachten zwischen Spanien und Frankreich. Schließlich kamen die Franzosen jedoch König Felipe zu Hilfe und gingen mit vereinten Kräften gegen die aufständischen Katalanen vor. Nun waren es französische Soldaten, die die Äcker und Dörfer besetzten, die raubten und plünderten. Als Felipe schließlich seine Niederlage gegen Louis XIV eingestehen und einen Friedensvertrag unterschreiben musste, hatte er bedeutende Teile seines Reichs verloren. Um wenigstens Flandern zu halten, war er bereit, Frankreich das Roussillon, den nördlichen Teil des aufmüpfigen Kataloniens, zu überlassen.
In Barcelona erfuhr man erst später, dass nun sämtliche Dörfer des Roussillons zu Frankreich gehörten. Die Corts Catalanes, das katalanische Regionalparlament, wurde in dieser Frage nicht konsultiert. Doch im Vertrag des Pyrenäenfriedens war nur von der Abtretung sämtlicher Dörfer nördlich der Pyrenäen die Rede. Llíva, das ja von Carlos I die Stadtrechte erhalten hatte, war aber kein Dorf, sondern eine Stadt. Als einzige katalanische Siedlung war Llívia daher von der Abspaltung des nördlichen Kataloniens ausgenommen und verblieb bei Spanien.
Die kleine Apotheke, die im Museum von Llívia zu sehen ist, stammt noch aus der Zeit vor dem Pyrenäenfrieden. Schon 1415 wurde sie gegründet und blieb über 500 Jahre in den Händen der Familie Esteve. Erst in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts gab León Antonio Esteve den Familienbetrieb auf und eröffnete im nahe gelegenen Puigcerdà eine neue, moderne Apotheke.
In den 60er Jahren richtete man in Llíva ein Museum ein, in dem vorwiegend die barocken Teile der Apotheke aus dem 16. Jahrhundert zu sehen sind.
Puigcerdà
Nach dem Besuch in Llíva fahren wir zurück über die ziemlich unsichtbare Grenze. In Puigcerdà haben wir ein Zimmer in einem Hotel nahe dem Bahnhof reserviert. Von hier aus gehen Bummelzüge nach Barcelona, es gibt aber auch Verbindungen nach Ribes de Freser und Latour-de-Carol (Tor de Querol) in Frankreich.
Um ins Zentrum Puigcerdàs zu gelangen, muss man entweder ein paar sehr steile Treppen hinaufsteigen oder man nimmt den Fahrstuhl. Wir entscheiden uns für den Lift, der mich fast ein wenig an Salvador de Bahia erinnert. Dort ist die Altstadt vom Hafen aus auch nur mit einem Fahrstuhl zu erreichen. Dass es so etwas hier in den Pyrenäen gibt, wusste ich gar nicht. Oben bummeln wir dann durch ein Gewirr aus kleinen Gassen mit Geschäften und Boutiquen, bis wir an einen Platz mit einem einzelstehenden Turm gelangen.
Der Campanar war einst der Glockenturm der Esglesia Santa Maria, doch die Kirche aus dem zwölften Jahrhundert wurde im Spanischen Bürgerkrieg von den Anarchisten gesprengt. Der übrig gebliebene Turm ist heute das Wahrzeichen Puigcerdàs. Eigentlich wollte ich ja oben hinauf und mir die Aussicht ansehen, aber gerade in dem Moment zogen dicke, schwarze Wolken auf. Bei einem Gewitter auf einem Turm zu stehen, schien mir dann aber doch keine gute Idee. Zehn Minuten später begann auch prompt ein Sommergewitter auf uns niederzuregnen. Doch die Leute in den Pyrenäen sind keineswegs überrascht. Sie wirken so, als seien sie es gewöhnt, dass es zu kleinen oder größeren Schauern kommt.
Ehe wir am nächsten Morgen wieder abreisen, spazieren wir aber noch einmal um den See von Puigcerdà. Ganz ähnlich wie in Hamburg gibt es hier nämlich einen kleinen Teich mitten im Ort. Der ist natürlich viel kleiner als die Alster, aber genauso schön.
Nützliche Infos zum Nachreisen:
Museo Municipal de Llívia
Carrer dels Forns, 10
17527 Llívia, Girona
Außer der Apotheke sind in dem winzigen Museum auch archäologische Funde aus der Ausgrabungsstelle des ehemaligen römischen Siedlung und des Castells de Lívia zu sehen. Nadine erzählt auf KulturNatur von ihrem Besuch auf dem „Puig de Llívia„.
Eintritt:
Kinder bis Jahre: Eintritt frei
Kinder 6 bis 12 Jahre: 1 Euro
Für Menschen zwischen 13 bis 30 Jahre und über 65 Jahre: 3 Euro
alle anderen Erwachsenen: 3,50 Euro
Noch mehr Infos zu Ermässigungen, Öffnungszeiten und Parkmöglichkeiten gibt es auf der Website des Museums
Website: http://llivia.org/en/council/museum/presentation.html
Hotel Terminus
Plaça de l’Estació, 1
17520 Puigcerdà, Girona
Website http://www.hotelterminus.net/
Günstiges, einfaches 2 Sterne Hotel, modern und sauber. Unten im Hotel befindet sich eine kleine Bar. Wir hatten ein großes Zimmer im dritten Stock mit Blick auf die Berge. Für uns war es komplett ausreichend. Aus Covid-Gründen gab es kein Frühstücksbuffet in der Hotel-Lounge, sondern in der Bar. Völlig ok.
In der Nähe:
Nur wenige Kilometer vor Puigcerdà liegt Bolvir mit dem kleinen Espai Ceretània, der Ausgrabungsstätte einer iberischen Siedlung. Noch ein paar Minuten Autofahrt weiter kommst Du schon nach Bagà, zum Katharermuseum, nach Gòsol ins Centre Picasso und zum Pedraforca. Auf der französischen Seite der Grenze ist es nicht mehr weit bis Tarascon-sur-Ariège und Montségur, der ehemaligen Katharerfestung.
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